„Abenteuer ist nicht männlich.“ – Interview mit 8000er Bergsteigerin Kristin Harila
EIN INTERVIEW VON LENA ÖLLER
Die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila hat 2022 versucht, alle vierzehn Achttausender innerhalb eines Jahres zu besteigen. Mit zwölf Gipfelerfolgen stand die 36-Jährige kurz davor, den Weltrekord des Nepalesen Nimsdai Purja zu brechen. Die letzten beiden Achttausendergipfel (Shishapangma und Cho Oyu) blieben ihr aufgrund von Visa- und Permit-Schwierigkeiten seitens China aber verwehrt. 2023 versucht sie es nun noch einmal – auch um ein Zeichen für Gender Equality zu setzen. Doch sind solche Expeditionen inmitten einer Klimakrise überhaupt noch vertretbar? Das und vieles mehr haben wir die 8000er-Bergsteigerin im Interview gefragt.
Lena von POW: Was ist Ihre Motivation für diesen Weltrekord?
Kristin Harila: Nimsdai Purja hat gezeigt, dass es möglich ist, alle vierzehn Achttausender innerhalb eines Jahres zu besteigen. Meine Motivation war und ist, der Welt zu zeigen, dass Frauen dieselben Leistungen erbringen können wie Männer. Als Sportlerin war mir seit Jahren bewusst, dass die Bergsportszene und die ganze Industrie drum herum von Gleichberechtigung sehr weit entfernt sind. Der beste Weg, das zu ändern, ist, selbst ein Zeichen zu setzen. Als ich im März 2022 nach Nepal aufbrach, wusste ich aber nicht, ob es wirklich was wird. Ich hatte nicht genug Geld, um die Expeditionen zu finanzieren. Es war schwer, Sponsoren zu finden. Ich musste kurzerhand meine Wohnung verkaufen, um mir die ersten Gipfel leisten zu können.
Lena: Werden Frauen in der Szene weniger unterstützt als Männer?
Kristin Harila: Frauen wird auf jeden Fall weniger zugetraut und sie sind weniger sichtbar. Einige meiner männlichen Kollegen, die bisher weit weniger erreicht haben als ich, bekommen von denselben Sponsoren mehr Geld bezahlt. Equipment für Höhenbergsteigende wird generell nur in Männergrößen produziert, meinen Daunenanzug musste ich in Kathmandu maßanfertigen lassen. Es macht den Eindruck, als würden sich die Hersteller denken: Hohe Berge besteigen ist etwas für Männer, die Frauen sollen weiterhin wandern gehen.
Lena: Ein Blick in die Statistik zeigt: Alle Achttausender wurden von Männern erstbestiegen. Bisher haben 37 Männer, aber nur vier Frauen die 14 Gipfel erreicht. Für viele ein Beweis, dass Männer im Bergsport leistungsfähiger sind…
Kristin Harila: 2021 habe ich am Everest genau das Gegenteil erlebt: Fünf von fünf Frauen haben den Gipfel erreicht. Von den vierzehn Männern, die dabei waren, haben es nur sechs hinauf geschafft. Mein Eindruck war, dass die Frauen in meiner Gruppe sehr gut vorbereitet waren – sowohl körperlich als auch geistig. Männer haben da oft mehr Selbstvertrauen – was ihnen dann auch oft zum Verhängnis wird. So quasi: „Ach, das schaff ich schon.“
Aber ja, insgesamt muss man sich die Frage stellen, warum Frauen statistisch gesehen weniger leistungsfähig sind. Und ich glaube, das Ganze ist eine Frage der Priorisierung: Denn was ist am Ende ausschlaggebend für den Erfolg? Die finanzielle und gesellschaftliche Möglichkeit oder der Wille, etwas zu tun? Ich denke, wenn es um Frauen und hohe Berge geht, war es auch historisch gesehen nie eine Frage des Wollens. Es gab und gibt genug Bergsportlerinnen, die es wollen. Wir müssen sie aber auf die gleiche Weise unterstützen wie die Männer. Mit Geld und Ausrüstung, aber auch durch Vorbilder, mit denen sich junge Frauen identifizieren können. Wir müssen weg davon, Abenteuer als etwas Männliches zu sehen und Frauen mehr zutrauen.
Lena: Sehen Sie da bereits Veränderung in der Bergsportcommunity?
Kristin Harila: Im Basislager der Annapurna zum Beispiel waren bereits mehr Frauen als Männer anwesend. Und auch auf den Gipfel schafften es mehr weibliche Bergsteigerinnen. Das war vor ein paar Jahren noch undenkbar. Es ändert sich also definitiv etwas. Aber es wird lange dauern, bis es wirklich zu einer Gleichstellung der Geschlechter kommt. Sowohl bei den Unternehmen als auch innerhalb der Community muss sich noch vieles entwickeln. Es gab da bei mir schon einige Vorfälle, die einem Mann so nicht passieren würden.
Lena: Was meinen Sie damit?
Kristin Harila: Also es gab mehrere solcher Situationen, in denen man sich einfach nicht ernst genommen fühlt. Zum Beispiel als ich mit Kristin Bennet am Nanga Parbat unterwegs war. Da waren wir inmitten der technisch sehr anspruchsvollen Kinshofer-Route, die man nur einzeln passieren kann. Wir waren an diesem Tag früh dran. Ich ging voraus, Kristin sollte mir nachkommen. Da drängelten sich sechs Männern einfach vor. Sie meinten, als Frau sei sie sowieso langsamer und daher soll sie deren Gruppe Platz machen. Kristin Bennet ist eine äußerst gute Kletterin und Bergsteigerin, die bereits den Everest, den K2 und mehrere andere, unbekannte hohe Gipfel bestiegen hat. Aufgrund der Drängelei kam sie erst zwei Stunden nach mir ins Hochlager. So ein Verhalten ist am Berg nicht nur respektlos, sondern auch gefährlich.
Lena: Frauen müssen am Berg also sichtbarer und mehr respektiert werden. Dazu passend haben Sie angekündigt, 2023 mit einem vorwiegend weiblichen Team unterwegs zu sein. Wer wird Sie bei Ihrem Rekordversuch begleiten?
Kristin Harila: Mit der US-Amerikanerin Kristin Bennet war ich bereits auf dem K2 und dem Nanga Parbat. Außerdem ist Adriana Brownlee in meinem Team. Die 22-jährige Engländerin ist auf dem besten Weg, als jüngste Frau alle vierzehn Achttausender zu besteigen. Ebenfalls aus England mit dabei ist die fünffache Mutter Rebecca Ferry. Aus Australien wird Allie Pepper mitkommen. Sie alle werden mich auf einzelne Gipfel begleiten.
Lena: Was stimmt Sie so optimistisch, dass Ihnen der Rekord dieses Mal gelingt?
Kristin Harila: Wenn du nicht überzeugt davon bist, dass dein Vorhaben funktionieren wird und du dir schon davor einen Plan B überlegst, dann wirst du nie so hart daran arbeiten, als wenn es deine einzige Option ist. Dann ist es einfach, aufzuhören, sobald die Dinge schwierig werden. Wenn ich mit zwölf Gipfeln zufrieden gewesen wäre, dann wären es nie zwölf geworden. Dieses Mindset treibt mich an.
Anmerkung der Redaktion: Anfang April 2023 hat Kristin Harila die notwendigen Permits erhalten und durfte nach China einreisen. Aktuell befindet sie sich im Basislager der Shishapangma – dem ersten der für heuer geplanten vierzehn Achttausender.
Lena: Vierzehn Achttausender in einer Saison sind nicht nur eine körperliche, sondern vor allem eine organisatorische Herausforderung. Um den Weltrekord zu knacken, sind mehrere Helikopterflüge zwischen den Basecamps nötig. Finden Sie, dass Ihr schneller Expeditionsstil in Zeiten einer globalen Klimakrise noch vertretbar ist?
Kristin Harila: Fakt ist, ohne Heli-Unterstützung ist der Weltrekord nicht möglich. Ich bin mir dem Problem aber definitiv bewusst und auch der Meinung, dass wir in der Bergsportszene ehrlich über die Klimakrise diskutieren müssen. Auch wenn ich selbst mit dem Heli fliege, habe ich keine Angst, über die Klimakrise zu sprechen. Und auch ich kann, wie jeder andere, mein Bestes geben. Auch während dieses Mega-Projekts kann ich versuchen, meine Emissionen zu reduzieren. Ich habe bereits Flüge gestrichen, die nicht zwingend notwendig sind. Außerdem ernähre ich mich vegetarisch und das gesamte Team sammelt unterwegs Müll. In Zukunft werde ich meine Expeditionen aber auf jeden Fall anders angehen und weniger reisen. Ich habe durchaus das Gefühl, dass ich nach diesem Jahr etwas kompensieren muss für das, was ich getan habe.
Lena: Inwiefern wollen Sie Ihre Emissionen zukünftig kompensieren?
Kristin Harila: Wenn ich mit dem 14 Peaks Projekt fertig bin, dann werde ich nicht mehr so viel fliegen – und auch bei Expeditionen keinen Heli-Support mehr nutzen. Ich werde wieder mehr laufen. Meine sportlichen Wurzeln liegen ja im Trail- und Skyrunning. Das ist viel einfacher nachhaltig umsetzbar. Ich werde in Zukunft also auf jeden Fall weniger reisen. In Europa kann man außerdem auch gut mit einem Elektroauto unterwegs sein. Deshalb werde ich mir ein solches zulegen. Ich glaube, das sind die größten Dinge, die ich in meinem Leben ändern kann, um einen Beitrag zu leisten. Dazu bin ich auch gerne bereit. Ich denke auf jeden Fall, dass wir in der Outdoor-Gemeinschaft mehr über dieses Problem sprechen sollten. Denn wir können uns nicht einfach verstecken und so tun, als ob die Klimakrise nicht da wäre.
Header-Foto: (c) Kristin Harila