Aktuelle Herausforderungen und ein Ausblick in die Zukunft des öffentlichen Verkehrs im Interview mit den Wiener Linien

Die Wiener Linien zählen jährlich 960,7 Millionen Fahrgäste (2019) und bilden mit 5 U-Bahnlinien, 28 Straßenbahn- und 131 Buslinien das größte Verkehrsnetz Österreichs. Aktuelle Großprojekte wie der Bau bzw. die Erweiterung der Linien U2 und U5 oder das Testen von autonomen Bussen im Betrieb sind allseits bekannt.

Mit einem Anteil im Modal Split 2019 (Anteil eines Verkehrsträgers am Gesamtverkehr) von 38 % innerhalb der Stadt Wien liegt die Anzahl der Wege, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, vor dem Pkw, den zu Fuß gehenden und dem Radverkehr. Im europäischen Vergleich schneiden hier die Wiener Linien gut ab und punkten vor allem mit einer hohen Netzdichte und der Leistbarkeit. Im Rahmen des Themenschwerpunkts Mobilität #ourwayout wollen wir einen Blick in die Hauptstadt zu den Wiener Linien werfen und beantworten, wie öffentlicher Personennahverkehr funktioniert und was leistbare Mobilität ausmacht. Auch die Frage, welche Maßnahmen im Hinblick auf klimafreundlichere Mobilität erfolgen müssen und was dabei alles bedacht werden soll, haben wir im Interview mit den Wiener Linien gestellt.

Worin seht ihr aktuell und zukünftig die größten Herausforderungen für euren Betrieb (abgesehen von Corona)?

Wir müssen die Klimakrise der Gesellschaft wieder stärker ins Gedächtnis rufen. Der Verkehr ist und bleibt einer der größten CO2-Verursacher und hier kann jede Einzelperson einen Beitrag leisten. Wir wollen das Auto nicht verteufeln, aber wir müssen den Menschen schon klar kommunizieren, dass der Autoverkehr im Gegensatz zu den Öffis schwerwiegende Auswirkungen auf Klima und Gesundheit hat. Hinzu kommt, dass der Umstieg auf die Öffis in der Stadt ohne großen Aufwand möglich ist – in Wien befindet sich die nächste Öffi-Haltestelle im Umkreis von 300 Metern. Auch in den Außenbezirken stellen wir fest, dass die Menschen das Auto vor allem für größere Einkäufe oder Ausflüge nutzen. Hier gilt es, umweltfreundliche Alternativen zu schaffen. Derzeit testen wir solche Optionen etwa mit unseren WienMobil-Stationen, die die Öffis mit Sharing-Angeboten verbinden.

Gibt es Überlegungen zu einem flexiblen Tarifsystem mittels Smart Ticketing oder Ähnliches?

Bereits jetzt ist es möglich die Jahreskarte digital in der WienMobil App jederzeit dabei zu haben bzw. Tickets flexibel unterwegs zu kaufen. Auch die Ticketautomaten in den Fahrzeugen und Stationen werden immer moderner und ermöglichen mehr Zahlungsmethoden. Derzeit testen wir auch eine App, mit der man beim Einsteigen und nach dem Aussteigen einen Check in / Check out macht. Die App kauft dann den günstigsten Fahrschein. Der Vorteil: Mit dieser App braucht man weder Bargeld noch Tarifkenntnisse.

Was steht dem Unterschreiben des 1-2-3 Tickets von Seiten der Wiener Linien noch im Weg?

Wir begrüßen den österreichweiten Öffiausbau und damit auch das 1-2-3-Ticket. Als Wiener Linien sind wir mit dem 365-Euro-Ticket bereits seit 2012 Vorreiter für preiswerte, grüne Mobilität. Wir haben mit unserer beliebten 365-Euro-Jahreskarte sehr gute Erfahrungen gemacht. Neben einem attraktiven Preis muss auch das Angebot und der Service für die KundInnen stimmen. Dazu gehört auch ein einfacher Vertrieb. Deshalb muss das 1-2-3-Ticket für die Wienerinnen und Wiener auch über den Wiener Linien-Ticketshop abgewickelt werden können. Die Gespräche mit dem Verkehrsverbund Ostregion sowie der Stadt Wien und dem Ministerium laufen weiterhin.

WienMobil Station der Wiener Linien
Eine WienMobil Station der Wiener Linien (Foto: Wiener Linien)

Gibt es Ideen oder Pläne wie die Mitnahme (abgesehen von den derzeitigen Regeln) von Fahrrädern, Scootern etc. im Hinblick auf die wachsende Multimobilität bei den Wiener Linien geregelt wird?

Mobilität aus einer Hand ist für die Wiener Linien ein klares Zukunftsmodell und ein wichtiges Anliegen. Darum wird versucht für die Kunden einen flexiblen Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln zu ermöglichen. Derzeit werden WienMobil Stationen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten ausgebaut. So kann ganz bequem von U-Bahn, Bim und Bus auf Carsharing-Autos, Fahrräder oder E-Scooter umgestiegen werden. Derzeit arbeiten wir auch an einem neuen Bikesharing-System (Nachfolger von Citybikes). Zusätzlich sollen Radboxen bei U-Bahn-Stationen angeboten werden, um Fahrgästen einen sicheren Parkplatz für das eigene Rad zu bieten.

Viele StadtbewohnerInnen haben aufgrund ihrer Hobbys oder Familien außerhalb der Stadt oft noch einen eigenen Pkw, der nur am Wochenende genutzt wird. Gibt es Überlegungen, die Wiener Linien über die Stadtgrenze hinweg zu denken, mit anderen Verkehrsbetrieben zu kooperieren und Angebote zu schaffen?

Der Ausbau der Öffis bis an den Stadtrand und in neue Stadtentwicklungsgebiete ist uns sehr wichtig. 2019 hat der 11. Bezirk mit der Linie 11 eine neue Straßenbahnlinie bekommen. Zuvor wurden U1 bis Oberlaa, sowie die U2 bis in die Seestadt verlängert. Weitere Ausbauten prüfen wir derzeit mit Machbarkeitsstudien. Klar ist, dass solch ein Ausbau gut geplant sein muss.

Die Wiener Linien machen bereits sehr viel richtig. Welche Maßnahmen werden zukünftig getroffen, um im Bereich öffentlicher Verkehr weiterhin Vorzeigemodell zu bleiben?

Die Wiener Linien bauen ihr Angebot laufend aus. Die neue U-Bahn U2xU5 ist das größte Klimaschutzprojekt Wiens und wird im Betrieb bis zu 75.000 Tonnen Kohlendioxidemissionen pro Jahr einsparen. Die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen die vorhandenen Verkehrsflächen vier Mal effizienter als der Autoverkehr und ermöglichen so mehr städtische Grünräume. Neben den Investitionen in den Ausbau der Öffis und Ankauf neuer klimafreundlicher Bims, Busse und U-Bahnen, ist die derzeit laufende Neugestaltung des Vorplatzes Spittelau ein aktiver Beitrag der Wiener Linien zum Klimaschutz und bietet eine weitere Cooling-Maßnahme in der Stadt. Außerdem laufen aktuell zahlreiche Forschungsprojekte, um die Öffis noch klimafreundlicher zu machen. Wie Wiener-Linien-Grünflächen neben Stationen und Haltestellen effizienter für Insekten und Pflanzen genutzt werden können, untersucht derzeit die Boku (Universität für Bodenkultur Wien).

Eine Straßenbahn der Wiener Linien
Die Straßenbahnen der Wiener Linien erfreuen sich großer Beliebtheit (Foto: Wiener Linien)

Welche Veränderungen wünscht ihr euch in der Zukunft?

Der Verkehr ist und bleibt der größte CO2-Verursacher. Wir wünschen uns, dass nach der Pandemie die Fahrgäste mit dem Wegfall von Homeschooling und mehr Präsenz am Arbeitsort wieder vermehrt zu den Öffis zurückkommen. Erfreulich ist, dass uns in der Krise sehr viele JahreskartenbesitzerInnen treu geblieben sind. Das zeigt, dass klimafreundliche Mobilität den WienerInnen wichtig ist und unser Wunsch in Erfüllung gehen könnte. Wir tun unseren Part und sorgen dafür, dass Wien klimafreundlich mobil bleibt und an der Spitze der lebenswertesten Städte der Welt bleibt.

Abschließend kann gesagt werden, dass eine ständige Anpassung an die Bedürfnisse von bestehenden KundInnen und NeukundInnen, den Veränderungen in der Stadt, aber auch im Hinblick auf den Klimawandel notwendig ist, um nachhaltige, leistbare und komfortable Mobilität gewährleisten zu können.


Weitere Infos von und zu den Wiener Linien:

https://www.wienerlinien.at/media/files/2020/wl_betriebsangaben_2019_deutsch_358274.pdf

https://blog.wienerlinien.at/oeffis-die-nummer-1-in-sachen-klimaschutz/

https://www.wienerlinien.at/web/wiener-linien/greener-linien

Beitragsbild: (c) Wiener Linien

Das Interview mit den Wiener Linien wurde schriftlich geführt.

Author: Sophie Hofbauer