Braucht Graz eine U-Bahn? – Der Versuch einer objektiven Annäherung
„Träumend sah vom Schlossberg nieder“ – So beginnt ein bekanntes Grazer Studentenlied. Beim Blick auf die unter dem hiesigen Hausberg, mit seinem Wahrzeichen dem Uhrturm, gelegene Altstadt kann einem schon warm ums Herz werden. Direkt darunter wuselt es in der Herrengasse und dem jeweils angrenzenden Franziskaner- und Altstadtviertel. Der Blick reicht, je nach Wetterlage weit in alle 4 Himmelsrichtungen und lässt einen von der Welt da draußen träumen. Zugegeben, Graz kann manchmal etwas provinziell wirken. Da unterscheidet es sich jedoch in keiner Weise von anderen Städten von ungefähr derselben Einwohnerzahl. Ehrlicherweise sticht Graz diese jedoch zu einem Großteil aus und braucht absolut keinen Vergleich zu scheuen.
Mit den Vergleichen ist das jedoch so eine Sache: Äpfel vs. Birnen? Buch vs. E- Reader? Wien vs. Graz? U- Bahn vs. Straßenbahn? In keinem dieser Vergleiche gibt es einen objektivierbaren Sieger. Verlieren kann jedoch der, der unbedingt sein möchte wie der andere, egal ob es wirklich stimmig wäre oder nicht.
Graz hat eine lange Tradition bezüglich des öffentlichen Nahverkehrs. Die heute aus dem Stadtbild nicht wegzudenkende Straßenbahn wurde anno dazumal noch von Pferden durch die Stadt gezogen. Die Umstellung auf die so genannte „Elektrische“ zog in der damaligen Zeitungslandschaft einen gewaltigen Aufschrei nach sich. Doch was passierte wirklich? Nichts! Man könnte nun an diese Anekdote anknüpfen und sagen, dass die angedachte U- Bahn auch nichts anderes als eine logische Weiterentwicklung wäre.
Um dem objektiv auf den Grund zu gehen und nicht als ökologisch angehauchter Verhinderer dazustehen, muss man sich einige der derzeitigen Pro- und Kontraargumente genauer anschauen.
- U- Bahn: Globale Verbreitung und Nutzung, Ausdehnung des Grazer Netzes
- Modal Split: Auto vs. Öffentlicher Nachverkehr vs. Fahrrad etc.
- Aktuelle Situation des öffentlichen Nahverkehrs in Graz
- Planung und Bauphase des U- Bahn- Netzes
- Kosten
- Akzeptanz in der Bevölkerung
- Kosten und Kritik
U- Bahn: Globale Verbreitung und Nutzung, Ausdehnung des Grazer Netzes
Der internationale Verband für öffentliches Verkehrswesen (UTIP) definiert U- Bahn folgendermaßen: „U- Bahnen sind ein urbanes, sich in ein jeweiliges Nahverkehrsnetzwerk flexibel einfügendes, elektrisch betriebenes Personentransportsystem, das seinen Dienst in hohem Takt und mit hoher Kapazität anbietet und sich unabhängig von jeglichem anderen Verkehr und Verkehrsteilnehmern auf eigenen Tunnel-, ebenerdigen oder Brückentrassen fortbewegt“. Straßenbahnen werden gemäß UTIP durch Schienenstränge geführt und stehen in aktiver Interaktion mit dem übrigen Verkehr und Verkehrsteilnehmern. Nach dieser Definition gibt es, auch wenn Stadt/ Straßenbahnlinien in manchen Städten als U- Bahn bezeichnet werden, im deutschsprachigen Raum solche nur in Wien, Berlin, Hamburg, München und Nürnberg. Die kleinste dieser Städte ist Nürnberg mit knapp doppelt so vielen Einwohnern wie Graz. Die dortige U- Bahn wurde bereits 1972 eröffnet und wird seit dem 15.3.2008 als erster dauerhafte Betrieb mit einer fahrerlosen U- Bahn geführt. Das Grazer Netz hätte nach derzeitigem Stand der Planung 2 Linien mit einer Gesamtstreckenlänge von 25,4 km und 27 Haltestellen. Eine dieser Linien (M1) liefe in Ost- West-, die andere (M2) in Nord- Süd- Richtung durch die Stadt. In Europa gäbe es jedoch 3 Städte mit weniger Einwohnern als Graz, die über ein vollwertiges U- Bahnsystem verfügen: Brescia in Italien seit 2013 ( 1 Linie mit einer Länge von 13 km) , Rennes in Frankreich (derzeit 1 Linie mit 9 km, Eröffnung einer zweiten Linie noch 2021 geplant) und Lausanne in der Schweiz (eröffnet 1991, seit 2008 mit 2 Linien in Vollbetrieb). Dieser Punkt geht wohl an die U- Bahn in Graz: Einwohnerzahl der betreffenden Stadt und Streckenlänge wären kein schlüssiges Argument gegen den Bau.
Modal Split
Unter Modal Split versteht man in der Verkehrsstatistik die Verteilung des Transportaufkommens auf verschieden Verkehrsmittel (Auto, öffentlicher Nahverkehr, Fahrrad, zu Fuß). In dieser Statistik ergeben sich, auch innerhalb des deutschsprachigen Raums, signifikante Unterschiede:
- Für Graz ergibt sich folgende Verteilung: 47% (KfZ), 20% (öffentlicher Verkehr), 19% (zu Fuß), 14 % (Fahrrad)
- Im Vergleich dazu Münster (vergleichbare Einwohnerzahl): 29% (KfZ), 10% (öffentlicher Verkehr), 22% (zu Fuß), 39% (Fahrrad)
Noch signifikanter in Richtung Fahrrad ist diese Statistik in einigen niederländischen Städten verschoben. Gerade eine Studentenstadt wie Graz, in der beginnend mit dem damaligen Vizebürgermeister Erich Edegger Mitte der 1980 er Jahre, das Radfahrnetz begonnen wurde auszubauen, hätte hier, bezüglich der Fahrradnutzung, im internationalen Vergleich noch einige Luft nach oben. Der öffentliche Nahverkehr wird in der Stadt bereits sehr gut angenommen und der Focus sollte auf dazu alternativen Möglichkeiten liegen.
Aktuelle Situation des öffentlichen Nahverkehrs in Graz
Die Grazer Linien bedienen derzeit 8 Straßenbahn- und 26 Autobuslinien. Weiters werden 8 Nachtbuslinien geführt. Jährlich werden ungefähr 50 Millionen Fahrgäste mit der Straßenbahn und 40 Millionen Fahrgäste mit den Bussen transportiert. Das Netz reicht bis an die Ränder des Stadtgebiets und trifft sich dort mit Regionallinien (Bus und Zug) aus dem Umland. Vor allem bezüglich der Anbindung des Umlands würden sich durch die geplante U- Bahn, derzeit keine signifikanten Neuerungen ergeben.
Planung und Bauphase des U- Bahn- Netzes
Nach derzeitigem Stand wäre eine Eröffnung beider Linien im Jahr 2030 geplant. Zuerst sollte die Linie M1 fertiggestellt werden, dann die Linie M2. Ein gemeinsamer Knotenpunkt wäre am Jakominiplatz, der bereits jetzt als zentraler Verkehrsknoten des öffentlichen Nahverkehrs dient. Auch, bei gegenteiligen Beteuerungen, hätte dieser Bau für die nächsten 10 Jahre große Auswirkungen auf den Verkehr in Graz. Der Bau von Fahrradwegen, die engere Taktung bereits bestehender Verbindungen oder auch deren weitere Netzverdichtung (vor allem der Buslinien im Stadtgebiet) hätte wohl nicht einen Bruchteil der durch den U- Bahnbau entstehenden Auswirkungen.
Akzeptanz in der Bevölkerung
Laut einer am 20.2. 2021 in der Kleinen Zeitung veröffentlichten Umfrage der stehen 54 Prozent der Grazer dem U- Bahnbau positiv gegenüber. 67 Prozent der Befragten können sich eine Nutzung der U- Bahn vorstellen. Solche Stimmungsbilder können sich jedoch schnell ändern, spätestens jedoch wenn man die Baustelle vor der eigenen Haustür hat—dann ist es jedoch bereits zu spät!
Kosten und Kritik
Derzeit werden für den Bau 3,3 Milliarden Euro veranschlagt. Aus Erfahrung weiß man, dass es dabei ziemlich sicher nicht bleiben wird. Man hofft in Graz, dass der Bund 50 Prozent davon übernehmen könnte. Für die Wiener U- Bahn wurden seit derem Bestehen vom Bund (also jedem einzelnen Steuerzahler) jedoch bereits 10 Milliarden Euro zugeschossen. Verkehrsministerin Leonore Gewessler zeigte sich bisher eher zurückhaltend und bevorzugt den Ausbau bereits bestehender Systeme. Der politische Haussegen in Graz hängt ohnehin deshalb bereits schief, da in der offiziellen Grazer Stadtzeitung nur Befürworter aus der ÖVP- FPÖ- Koalition zu Wort kamen. KPÖ, Grüne, SPÖ und Neos konnten keine Stellung beziehen. Weiters sei laut Verkehrsstadträtin Elke Kahr (KPÖ) die gesamte Vorplanung innerhalb der Holding (Grazer Gemeindebetrieb) ohne Einbeziehung des Gemeinderats passiert. Der emeritierte TU- Wien- Professor Hermann Knoflacher meint sogar, das Ganze sei ein Prestigeprojekt für die Tunnelbauwirtschaft und würde die Grazer Verkehrsprobleme definitiv nicht lösen. Auch er schlägt einen weiteren Ausbau bestehender Systeme vor. Um denselben Betrag (3,3 Milliarden Euro) könnte man 250- 300 km Straßenbahnnetz bauen!
Fazit
Da die Pläne erst seit einigen Tagen bekannt sind ist eine endgültige objektive Bewertung natürlich nicht möglich. Auch wenn eine U- Bahn einen gewissen Charme hätte und man als Grazer einen subjektiven Grund weniger hätte, nach Wien oder in andere große Städte zu schauen, erscheint das Ganze doch ein wenig hochtrabend und schlicht nicht notwendig.
Wir sind auf die Argumente der Stadtregierung in den nächsten Wochen gespannt und werden diese Entwicklungen genau verfolgen, um uns in einiger Zeit doch ein konkreteres Bild machen zu können.
Fortsetzung folgt …