Mobilität und Gender

Als Übergang zwischen unseren Schwerpunktthemen Mobilität und Gender dreht sich in diesem Artikel alles um das Thema Mobilität und die Genderperspektive. Den meisten von uns ist gar nicht bewusst, welche Differenzen das Mobilitätssystem für unterschiedliche Personengruppen im Alltag mit sich bringt und wie vielfältig Mobilität aussehen kann.

Viele Faktoren tragen zum individuellen Mobilitätsverhalten bei, unter anderem das Alter, das Geschlecht, ethnische und kulturelle Hintergründe, das Einkommen, die psychische und körperliche Verfassung, Religion, sexuelle Orientierung oder die aktuelle Lebensphase. Mobilitätsbedürfnisse sind also vielfältig, das Mobilitätssystem jedoch weniger.

Aktuell orientiert sich die Planung der Infrastruktur im Verkehrssektor meistens am “Durchschnittsmann”, da weniger als ein Drittel der Beschäftigten in der Branche in Europa Frauen sind. Das betrifft politische Entscheidungsträger:innen, Wissenschaftler:innen, Beschäftigte in Planung und Design bis hin zu den Lenker:innen der Fahrzeuge (Ramboll, 2021).

Durch die Zunahme an weiblichen Beschäftigten könnten Bedürfnisse von Frauen besser wahrgenommen werden. Jedoch werden durch die Männerdominanz in der Branche viele Bedürfnisse einfach “übersehen” und es folgt wiederum eine Lücke bei den Daten, auch Gender-Data-Gap genannt. Dieser Gap gilt für fast alle Lebensbereiche, von der Medizin, über Kultur, der Wirtschaft bis hin zu  Sicherheitsaspekten. Ein bekanntes Beispiel ist der Sicherheitsgurt im Auto, der in der Vergangenheit nur an männlichen Crashtest-Dummies erprobt wurde und somit die Anatomie von Frauen nicht berücksichtigt. Dadurch ist das Risiko, sich bei einem Autounfall schwer zu verletzen, für Frauen um 47 % höher als bei Männern (Criado-Perez, 2020).

Datenlücken herrschen aber auch bei grundlegenden Mobilitätsdaten, welche eine zukunftsgerechte Planung erst ermöglichen. Das im nächsten Punkt angesprochene Thema Mobilitätsverhalten ist noch lange nicht ausreichend erforscht: Daten zur zeitlichen Abfolge von Wegen, Routenwahl und dem Wegezweck werden kaum für Frauen differenziert betrachtet (Punkt-vor-Strich).

Komplexere Wege 

Weiters ist das Reiseverhalten von Frauen durchaus komplexer, da Frauen in Österreich immer noch großteils Care Arbeit (Hol- und Bringtätigkeiten von Kindern, Arztbesuche mit pflegebedürftigen Angehörigen etc.) leisten. Dabei haben sie oftmals noch einen Kinderwagen mit dabei, der das Einsteigen in Busse umständlicher macht oder stoppen am Weg noch kurz im Supermarkt, um Einkäufe zu erledigen. Diese Wege- und Umsteigebeziehungen werden in den Planungen oft vergessen, beispielsweise ist in Wien ein Drittel der Gehsteige zu schmal für Kinderwagen oder mobilitätseingeschränkte Personen (VCÖ, 2022a).

Grund dafür sind oftmals Parkplätze, die wiederum mehr von Männern benötigt werden, da diese statistisch um ein Viertel häufiger mit dem Auto unterwegs sind. Und das, obwohl die Wege von Männern meist viel linearer sind, das heißt, sie fahren direkt von zu Hause in die Arbeit und wieder zurück, ohne auf dem Weg andere Tätigkeiten zu erledigen (VCÖ, 2022b).

Die folgende Abbildung veranschaulicht diese komplexen Wegeketten. Zudem sind Frauen häufiger zu Fuß unterwegs, nutzen den öffentlichen Verkehr und vermeiden – im Vergleich zu Männern – Radfahren auf Strecken mit schlechter Radinfrastruktur, wo beispielsweise kein getrennter Radweg vorhanden ist. Männer hingegen legen Strecken – wie bereits erwähnt – häufiger mit einem Pkw zurück und sind affiner, was die Nutzung neuer Mobilitätsdienstleistungen betrifft (darunter versteht man Sharing Konzepte wie E-Scooter, Carsharing, Ridehailing, etc.) (Ramboll, 2021).

Dadurch, dass Frauen fast ein Viertel weniger mit dem eigenen Pkw unterwegs sind und eine höhere Teilzeitquote aufweisen, schneiden sie auch in der Klimabilanz deutlich besser ab. Zu Fuß gehen, Radfahren und die Benützung von öffentlichen Verkehrsmittel spart CO2, dadurch vermeiden Frauen im Vergleich zu Männern 1,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr (VCÖ, 2020).

Die Grafik zeigt die unterschiedlichen Wegezwecke zwischen Männern und Frauen in der EU. – © »EUMA2021 Mobility of Women« Heinrich-Böll-Stiftung European Union

Verstärkte Unterschiede im ländlichen Raum

Im ländlichen Raum sind diese Unterschiede noch stärker zu sehen. Frauen sind aufgrund der Zersiedelung noch länger dazu “verpflichtet”, ihre Kinder auch in einem Alter, wo sie normalerweise schon selbstständig öffentliche Verkehrsmittel benutzen und zu Fuß oder per Rad an Orte (Schule oder Freizeitaktivitäten) gelangen, zu bringen. Das liegt daran, dass öffentliche Busse und Züge weniger gut ausgebaut beziehungsweise diese durch unzureichende Gehsteige an stark befahrenen Landstraßen schwer zu erreichen sind. Davon sind nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Mobilitätseingeschränkte und ältere Personen betroffen (Tamme, 2015). 

Arbeiten beide Elternteile im Familienverband, erscheint es oft als notwendig, zwei PKWs zu besitzen. Gerade für Berufseinsteigerinnen, beziehungsweise bei Teilzeitjobs, können diese Kosten für den PKW, die aufgewendete Reisezeit sowie die Kosten für die Kinderbetreuung insgesamt gesehen einen finanziellen Verlust darstellen (Jakowitsch, 2009).

Mobilität und Sicherheit

Ein Thema, das bei Frauen, aber auch anderen Personengruppen, wie People of Color oder LGTBQIA+ Personen, im Mobilitätsbereich häufig aufkommt, ist das Sicherheitsgefühl. Gerade in den Abendstunden und in der Nacht werden deshalb öffentliche Verkehrsmittel und der öffentliche Raum im Allgemeinen vermieden. Die Angst vor Gewalt und Belästigung beeinträchtigt also die Wahlfreiheit bei Mobilitätsentscheidungen (Prättälä et al, 2022).

Dazwischen gibt es noch unendlich viele Beispiele, wie Frauen, aber auch andere Personengruppen, die nicht dem “weißen Mann” entsprechen, in der Mobilität benachteiligt werden. Zum Beispiel die Prioritäten im Winterdienst. Schneit es, werden als Erstes die Fahrbahnen geräumt, Geh- und Radwege vereisen oftmals und sind verengt durch den Schnee, der von der Straße abgelagert wird. Wer davon hauptsächlich betroffen ist, lässt sich erahnen (André, 2016).

Mobilität entscheidet über die Teilhabe in der Gesellschaft, umso wichtiger ist es, den Anforderungen aller Personen gerecht zu werden. Vielleicht gehst auch du in Zukunft mit einer neuen Perspektive durch die Straßen und erkennst Gender-Gap-Unterschiede in der Mobilität.

Weiterführende Informationen

Author: Sophie Hofbauer