Mut und Haltung: Frauen stehen auf den Dächern dieser Welt 

Am 8. März wird jährlich der Weltfrauentag begangen: Dabei soll es nicht nur um eine symbolische Ausdrucksweise dessen gehen, was Frauen bisher geleistet haben und in Zukunft leisten werden, sondern darum, sich innerhalb der Gesellschaft noch intensiver mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Themen von und für Frauen zu beschäftigen. Dass der tagespolitische Diskurs schnell abgehandelt ist, zeigt uns die Erfahrung. Es muss Mut gezeigt werden, Themen anzugehen und umzusetzen, angefangen bei Arbeits- und Lohnpolitik bis hin zur erweiterten gesellschaftlichen Akzeptanz von Frauen in sämtlichen Positionen. Und das alles nicht nur im Rahmen von Lippenbekenntnissen anlässlich des Weltfrauentages!

Diese Akzeptanz zu etablieren und zu festigen, gelingt nur durch kontinuierliches Durchbrechen patriarchaler Strukturen. Seit Beginn der Frauenbewegung beweisen Frauen nicht nur im Alltag, in der Wirtschaft oder in ihrem Habitus Mut und Entschlossenheit, sondern auch der Bergsport hat seit jeher starke, weibliche Charaktere hervorgebracht, die als Vorreiterinnen im ständigen Austragen des gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kampf gegen maskulin dominierte Strukturen gelten. Im Zuge der zunehmenden Etablierung der Frauen- und Geschlechterforschung können solche Strukturen aufgezeigt und im Sinne eines Therapiekonzeptes kritisiert werden. Denn nur durch die kontinuierliche Aufarbeitung und Austragung des Diskurses muss es gelingen, bestehende Ungleichheiten zu durchdringen. 

Die wissenschaftliche Perspektive auf die Frauen- & Geschlechterforschung 

Möchte man die einzelnen Perspektiven der Frauen- & Geschlechterforschung in vollem Umfang darstellen, bedarf es mittlerweile einer tiefgreifenden Recherche. Denn dieses Forschungsfeld ist, wie die gesamte Gesellschaft, einem stetigen Wandel unterworfen. Dieser Wandel führt zu einer immerwährenden Verschiebung der Begriffe, Konzepte und Wahrnehmungen. Das Grundprinzip der Frauen- und Geschlechterforschung kann mit drei Ansätzen grundlegend erörtert werden: Dem Gleicheitsansatz, dem Differenzansatz und dem Konstruktivismus.  

Auf der Suche nach Perspektive. – © Markus Bachofner

Der  Gleichheitsansatz der Gender Studies

Das Ziel des Gleichheitsansatzes ist es, eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu erreichen. Dafür wird zunächst die Ungleichbehandlung von Frauen analysiert. Als Basiskonzept für diesen Ansatz dient die Demokratie und deren Idee der Gleichstellung. Erstmals erwähnt wurde der Begriff ,,Gleichstellung“ im antiken Griechenland von Aristoteles als Grundprinzip einer Demokratie und ist somit Basis für soziale Gerechtigkeit (vgl. Kroll 2002). Durch eine historisch männlich geprägte Alltagswelt (Arbeit, Öffentlichkeit) etablierte sich das ,,Männliche“ gleichzeitig als ,,normal“. Erst als Soziologinnen die ,,männliche“ Norm zu hinterfragen begannen, wurde eine Debatte um die Gleichstellung von Frauen und Männern eröffnet, die bis heute noch offen ist. Hierbei geht es jedoch nach Lünenborg und Maier (2013) um die Potentiale und Leistungen von Frauen. 

Der Differenzansatz der Gender Studies

Der Differenzansatz untersucht unterschiedliche Handlungsweisen beider Geschlechter und sieht die Geschlechterordung als Hierarchie an, von der ungleiche Verhältnisse hergestellt werden. Mit dem Begriff des ,,Weiblichen“ werden ,,von Natur aus“ bzw. durch die historische Entwicklung Adjektive wie ,fürsorglich, ,kommunikativ, ,hilfsbereit und ,teamfähig assoziiert. Aus differenztheoretischer Sichtweise gibt es jedoch weitaus mehr Optionen für die Differenzierung. 

Zum Konstruktivismus und Doing Gender

Der in den Gender Studies vertretene Ansatz des Konstruktivismus bezieht sich auf die Analyse der Herstellung des weiblichen und männlichen Geschlechtes durch soziales Handeln. Hier spielt das ,,Doing Gender“ eine zentrale Rolle. Lünenborg und Maier (2013) erklären ,,Doing Gender”: Geschlecht kann nicht als etwas gesehen werden, was Individuen verkörpern. Geschlecht ist etwas, das jeden Tag aufgeführt und dargestellt wird und ist ein alltäglicher Handlungsprozess (vgl. Lünenborg/Maier 2013). Die Aneignung von Gender selbst erfolgt in routinierten Praktiken, die sich aus Aktivitäten, Handlungen und Wahrnehmungen des ,,Männlichen“ und ,,Weiblichen“ zeigen. ,,Doing gender“ basiert auf der wesentlichen Unterscheidung des biologischen Geschlechts (sex) und des sozialen Geschlechts (gender) (vgl. Kroll 2002). Sex, das biologische Geschlecht, wird jedem Lebewesen zugeordnet: beim Menschen Mann und Frau, in der Tierwelt Männchen und Weibchen. Diese Zuordnung erfolgt durch anatomische Geschlechtsmerkmale und lassen uns zur Frau oder zum Mann werden. (vgl. Schößler 2008). 

Historische Beispiele: Wie Frauen eisernen Willen bewiesen

Bevor aktuelle Entwicklungen zu Frauen im Bergsport näher betrachtet werden, ist es wichtig, historische Leistungen von Frauen im Alpinismus zu betrachten. Besonders erwähnenswert ist die Filmemacherin Leni Riefenstahl, die sich in den 1920er Jahren einen Namen als Darstellerin für Bergfilme machte. Riefenstahl hatte zwar großen Respekt vor den damaligen weiblichen Filmgrößen wie Greta Garbo oder Marlene Dietrich, wollte aber keine wahre Filmdiva werden (vgl. Leis 2009). Besonders die Arbeit mit Kameramann Arnold Fanck und Bergsteiger Luis Trenker beeinflussten Riefenstahl in ihrer Rolle als Schauspielerin, später auch als weibliche Filmemacherin. Von Fanck und seinem Team lernte sie unter anderem das Skifahren und erklomm für Dreharbeiten den 4807 m hohen Mont Blanc (vgl. Leis 2009). Riefenstahl, die später als umstrittene Filmemacherin gelten sollte, leistete als Frau in den Bergen Unglaubliches: Fanck ließ das gesamte Team bei minus 30 Grad Celsius drehen, sie musste sich mehrmals von kleinen Lawinen verschütten lassen, bis die Szenen perfekt waren (vgl. Leis 2009). Riefenstahl begab sich für Dreharbeiten auch auf anspruchsvolle Klettertouren bei den berühmten Vajolet-Türmen (vgl. Leis 2009). Dabei bestach sie nicht nur durch ihren enormen Ehrgeiz, sondern auch durch ihren eisernen Willen, sich als Frau zu dieser Zeit zu behaupten. Dadurch wurde sie später auch eine berühmte Kamerafrau, die bis heute durch Raffinesse, Kreativität und Ehrgeiz hoch angesehen wird. 

Nachdem Leni Riefenstahl, wie viele grandiose Schauspielerinnen der Stummfilmzeit (der polnischen Pola Negri erging es ähnlich), durch die Einführung des Tonfilms keine Rollen mehr bekam, profitierte sie von ihrem Ehrgeiz am Set: Sie wurde eine berühmte Filmemacherin und galt als Vorreiterin der Filmtechnik und Szenengestaltung. In Riefenstahls Schaffen gilt die Arbeit für Propagandafilme als umstritten: Durch ihre Perfektion wurde sie mit ihren Ideen und ihrer Erfahrung zu einer der zentralsten Filmemacherinnen unter der Herrschaft von Adolf Hitler und der NSDAP. Bis heute gilt der 1938 erschienene Film “Olympia” als Riefenstahls Meisterleistung unter dem Regime. Technisch ist “Olympia” ein Vorreiter, es wurden Kamerasysteme etabliert, die heute in Perfektion bei jeder Sportübertragung zu finden sind. Ein Meilenstein für die Technik, welcher aber im Zuge der NS-Propaganda etabliert wurde. Durch diese enge Zusammenarbeit mit dem NS-Regime ist Riefenstahl bis heute eine heiß diskutierte Person der Filmgeschichte. 

Der Feminismus – eine Bewegung, die nach wie vor viel Gegenwind erfährt. – © Markus Bachofner

Eine der berühmtesten Alpinistinnen der UdSSR, Elvira Shatayeva, stellte 1974 ein rein aus Frauen bestehendes Expeditionsteam zusammen, um den 7134m hohen Peak Lenin zu erklimmen. Ein Vorhaben, das noch keine Frau zuvor gewagt hatte. Shatayeva war eine erfahrene Alpinistin und leitete die Expedition. Dennoch wurde den insgesamt acht Frauen ein Wetterumschwung zum Verhängnis und der Peak Lenin zu ihrem Schicksalsberg: Keine von ihnen überlebte das Bergdrama. Dennoch gilt Elvira Shatayeva als eine zentrale Figur im Alpinismus, da sie bereits in den beiden Jahren davor Expeditionen auf den Peak Korzhenevskaya und den Ushba erfolgreich als Frau geleitet hat.

Aktuelle Entwicklungen und Persönlichkeiten im Bergsport 

In der heutigen Zeit gelten zahlreiche Frauen als zentrale Wegbereiterinnen im Alpinismus. Die wohl bekanntesten Bergsteigerinnen der Gegenwart sind die österreichische Höhenbergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner sowie die Südtirolerin Tamara Lunger, die sich bis heute stark mit frauenrelevanten, gesellschaftlichen Themen befassen und diese intensiv kommunizieren.  Auch die Französin Elisabeth Revol, die im Jänner 2018 als erste Frau den Nanga Parbat bestiegen hat, erzählt in ihrem Buch „To Live“ die tragische Geschichte, als sie ihren Expeditionspartner verletzt und dem Tode geweiht zurücklassen musste. Eine schwere Entscheidung, die ihr Leben danach stark beeinflusst hat.

In Zeiten von Social Media und Co zeigen auch viele junge Alpinistinnen, welche schier unmöglichen Leistungen sie vollbringen. Die Norwegerin Kristin Harila nimmt ihre Community auf Instagram mit in die Welt des Höhenbergsteigens und hat bereits zahlreiche Expeditionen auf die “Dächer” dieser Welt hinter sich. Ihr Ziel ist es, alle 14 Achttausender zu besteigen. Mit ihren Abenteuern wurde sie auch zum „Adventurer of the Year“ gekürt. Protect Our Winters hat mit Kristin über ihre Eindrücke, als Frau solche Leistungen zu vollbringen, gesprochen. Zu lesen im April, wenn wir hier am Blog versuchen, Frauen in Sport, Wissenschaft und Klimawandel etwas mehr Gehör zu verschaffen. . Ähnlich wie Harila hat auch die junge Norwegerin Ane Faerovig im Juli 2022 den K2 erfolgreich bestiegen und befindet sich aktuell für weitere Expeditionen in Nepal. Auch sie nimmt ihre Community digital in die luftigen und eisigen Höhen mit. 

Alpinismus damals und heute – eine Frage der Inszenierung? – © Markus Bachofner

Die hier erzählten Geschichten sollen zeigen, dass Frauen bereit sind, für ihre Ziele und Werte einzutreten. Besonders die Gleichberechtigung und das Beheben des geschlechtsspezifischen, dualistischen Gesellschaftsbildes ist ein zentrales Ziel sämtlicher soziopolitischer Konzepte. Die hier gezeigten und dargestellten Beispiele können nur repräsentativ für jede einzelne Frau stehen, die tagtäglich mit den bestehenden Ungleichheiten zu kämpfen hat. Vielleicht sind die hier genannten Namen und Geschichten noch unbekannt gewesen? Namen wie Trenker und Messner haben sich etabliert, doch die gleiche Leistung wurde von vielen starken Frauen erbracht, die dieselbe Aufmerksamkeit und Wertschätzung dafür verdienen. Eines steht nämlich fest, es gibt noch deutlich mehr Geschichten von Frauen, die bereits Großartiges geleistet haben. Sie zu finden ist tatsächlich schwieriger als beim männlichen Geschlecht. Der Mut der Protagonistinnen bleibt aber ungebrochen, sei es am Berg oder bei der Arbeit in der Öffentlichkeit, wo sie ihre Geschichten allen Interessierten erzählen. Alpinistinnen stehen hier repräsentativ  für jede einzelne Frau, welche täglich ihren eigenen Kampf bestreitet, sich auf ihre eigene Expedition begibt, ihre eigene Geschichte schreibt. 

Schwierige Berggipfel können oftmals nur gemeinsam – als Seilschaft – erklommen werden. Es ist in der aktuellen Zeit des fortschreitenden sozialen Wandels dringend notwendig, dass sich Männer und Frauen zu gesellschaftlichen Seilschaften zusammenfinden und das Gemeinsame vor das durch maskulin dominierte Strukturen etablierte Spaltende stellen. Von Gleichberechtigung ist unsere Gesellschaft auch im 21. Jahrhundert trotz stattfindender Wandlungsprozesse in weiter Ferne. Um dem Ziel der Gleichberechtigung näherzukommen, braucht es nicht nur herausragende Frauen, sondern vor allem auch Männer, die – um beim Alpinismus zu bleiben – Frauen ermutigen und sich von Frauen zum Gipfelkreuz führen lassen.

Referenzen

  • Kroll, Renate (Hrsg.) (2002): Metzler Lexikon Gender Studies Geschlechterforschung. Verlag J.B. Metzler: Stuttgart-Weimar. 
  • Leis, Mario (2009): Leni Rowolth Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg.  
  • Lünenborg, Margreth; Maier, Tanja (2013): Gender Media Studies. Eine Einführung. UVK Verlagsgesellschaft mbH mit UVK/Lucius: Konstanz-München. 
  • Schößler, Franziska (2008): Einführung in die Gender Studies. Akademie Verlag GmbH: Berlin. 

Titelbild: © Markus Bachofner