So arbeitet der Lawinenwarndienst

Über die Wintermonate geben die Lawinenwarndienste täglich einen Lawinenbericht heraus, um u.a. den Wintersportler:innen einen Überblick über die aktuelle Lawinensituation zu geben, damit diese ihre Tourenplanung darauf aufbauen können. Unseren aktuellen Schnee-Schwerpunkt am Blog starten wir mit einem Interview mit  POW Volunteer Veronika Krieger. Sie ist Meteorologin bei GeoSphere Austria (vormals ZAMG) und seit der Saison 2022/23 im Team des Lawinenwarndiensts Salzburg (LWD). Im Interview mit POW erzählt sie, wie der Lawinenbericht entsteht, welche Rolle Beobachter:innen dafür spielen und woran sie als Lawinenwarnerin und Meteorologin im Sommer arbeitet.

Verena: Wie entsteht der Lawinenlagebericht , welche Aufgaben fallen da dir zu?

Veronika: Weil du „Lagebericht“ sagst – seit ein paar Saisonen ist es ja so, dass wir den am Abend herausgeben und nicht mehr in der Früh und deshalb versuchen wir auch von dem Wort „Lawinenlagebericht“ wegzukommen, da es ja eigentlich kein Lagebericht mehr ist, sondern eher eine Prognose.  Also es fängt damit an, dass ich eine Analyse vom Vortag mache und dass ich Rückmeldungen dazu bekomme, was so passiert ist von Beobachter:innen, von Kommissionsmitgliedern, damit ich mir anschauen kann, wie viele Lawinen sind denn tatsächlich abgegangen und passt das so für mich zu meinem Bericht? Wir wollen den Bericht natürlich verbessern und evaluieren.

Verena: Welche Meldungen bekommt ihr da herein? Lawinenmeldungen?

Veronika: Das kann ganz unterschiedlich sein – das können Lawinenbeobachtungen sein, das kann aber auch einfach eine Wetterbeobachtung sein, die wir täglich von fixen Meldestationen bekommen, das kann von einem anderen Beobachter, der gerade auf Tour war, ein Foto sein, das kann aber auch ein Schneedeckentest oder –profil sein. Diese Meldungen können also sehr vielfältig sein. Alle Infos, die uns zugetragen werden, sind für uns nützlich. Auch wenn es stabil ist und nicht kritisch, ist das trotzdem eine Meldung, die für uns von Bedeutung ist, weil wir dann sagen können: Ok, da ist die Situation günstig. Diese ganzen Beobachtungen, die über den Tag verteilt auf unterschiedlichen Wegen, per App oder Anruf, zu uns kommen, werden also von uns aufgenommen. Dann haben wir auch immer ein Gespräch mit den Meteorologen:innen, das ist ganz praktisch, weil die eh bei uns im Haus sitzen und die ja wirklich in der Wetterlage drin sind und dann kann man da noch einmal ein bisschen genauer nachfragen: Ok, wie schaut es denn im Gebirge aus oder wie schaut es in einer gewissen Region aus, wie entwickelt sich das Wetter bis zum nächsten Tag? Und dann kommt von uns die Überlegung: Wie schaut die Schneedecke jetzt aus und was macht das kommende Wetter dann mit dieser Schneedecke. Man hat ein Bild im Kopf und schreibt dann den Bericht und kann den ja auch in Regionen aufteilen – wo ist es angespannter und wo ist es nicht so angespannt. Außerdem sprechen wir uns auch mit den Kollegen:innen und den benachbarten Lawinenwarndiensten ab, um die Grenzregionen zu besprechen, weil die eventuell andere Infos haben. Es gibt eben keine klare Grenze beim Schnee. Deswegen ist dieser Kontakt sehr wichtig. Und es gibt natürlich bei der Einstufung auch nicht die klare Grenze, es ist immer ein bisschen Spielraum. 

Die LWD-Mitarbeiterinnen verschaffen sich manchmal auch mit dem Heli einen Überblick zur aktuellen Schneesituation im Gelände. – © LWD Salzburg

Verena: Du hast die Unterteilungen in die Regionen erwähnt. Die werden ja teilweise weiter unterteilt in die Expositionen. Basiert das alles auf den Berichten davor und der Wetterlage oder baut das mehr auf die Berichte vor Ort auf?

Veronika: Das kann man nicht so sagen. Klar, der Lawinenbericht baut sich ja über die ganze Saison über auf. Das heißt, ein Problem ist nicht plötzlich und ohne Grund da und verschwindet dann wieder, sondern es baut sich auf und es baut sich ab. Daher ist es schon wichtig, was den Tag davor passiert ist, aber das A und O sind schon die Beobachter:innen, die uns noch einmal ganz klare Details liefern, wie es draußen wirklich ist. Wir machen das Theoretische, also was müsste es für Auswirkungen haben, wenn es wärmer, wenn es kälter, wenn es windiger wird, aber die Beobachtungen sind dann wirklich die Rückmeldungen: Ok, es ist so, wie wir uns das gedacht haben oder es ist ein bisschen anders – es ist kritischer oder es ist doch nicht so kritisch. Also das ist schon ein wichtiger Bestandteil – vor allem, dass die Beobachtungen flächendeckend über das ganze Bundesland zur Verfügung stehen. Denn wenn wir rausgehen ins Gelände, überlegen wir uns davor, was wir uns anschauen wollen, was wir rausbekommen wollen, aber wir schauen uns eben nur eine Gegend an. Die Beobachter:innen sind mehr und sind verteilt und das ist schon sehr wichtig.

Verena: Die nächste Frage ist jetzt eh schon fast beantwortet: Bei der Wettervorhersage kann man im Nachhinein die Treffsicherheit gut beurteilen – wie ist das bei der Lawinenvorhersage? Liegt der Bericht auch mal daneben? Du hast gesagt, die Beobachter:innen bestätigen, ob die theoretische Grundlage, die ihr erstellt habt, stimmt oder nicht.

Veronika: Wobei ich finde auch, dass man es bei der Wettervorhersage auch nicht immer sicher sagen kann, weil die Wettervorhersage ja auch meist für eine Region gemacht wird. Und der Lawinenbericht wird auch immer für eine Region mit einer gewissen Größe gemacht, von den Beobachter:innen bekommen wir jedoch Rückmeldungen von einem Einzelhang. Da kann es natürlich immer zu leichten Abweichungen kommen, aber es muss halt ins Gesamtbild passen. Ich würde mal behaupten, wir sind nie völlig falsch, weil man ja einige Dinge (Lawinenprobleme) relativ gut im Griff hat. Wenn es windig wird, wird man wohl ein Triebschneeproblem bekommen. Aber wie stark das ausgeprägt ist, wie groß die Lawinen werden, wie viele Gefahrenstellen es gibt, wie leicht man das auslösen kann – das sind keine klaren Grenzen, die sind ein bisschen schwammig und da kann man dann schon mal ein bisschen daneben liegen. Dafür gibt es aber eben die Updates des Berichtes: wir haben also die Möglichkeit, das am nächsten Tag in der Früh oder im Tagesverlauf nochmal zu ändern. Das machen wir, wenn wir mehrere Meldungen reinbekommen, die eben nicht zu unserem Bild passen und ändern den Bericht dementsprechend in diese Richtung.

Verena: Wie viele Beobachter:innen gibt es ca. im Bundesland Salzburg bzw. auf wie viele Beobachter:innen greift ihr zurück?  

Veronika: Etwa 35, wobei wir unterschiedliche Beobachter:innen haben. Es gibt die Nachmittagsbeobachter:innen, die frei beweglich sind und überall ihre Skitour gehen  und uns dann Rückmeldungen geben. Wir haben aber auch fixe Meldestellen, zum Beispiel in Skigebieten oder am Sonnblick (gehört auch zu GeoSphere Austria), die täglich etwas rückmelden. Es ist natürlich unterschiedlich, wie viele Rückmeldungen man bekommt, besonders wenn wenig Schnee liegt und wenig Skitouren möglich sind, dann sind es auch wenig Meldungen und das macht es natürlich nicht unbedingt leichter. Die Rückmeldungen sind also schon auch von den vorherrschenden Verhältnissen abhängig.

Meldungen von Lawinenereignissen oder Ergebnisse von Schneedeckenstabilitätstests sind für den LWD von großer Bedeutung für die Erstellung des Lawinenberichts. – © LWD Salzburg

Verena: Du hast eingangs schon erwähnt, dass ihr auch mit den Lawinenwarnkommissionen im Land Salzburg zusammenarbeitet und ihr führt auch deren Aus- und Fortbildungen durch. Welche Rolle nehmen die Lawinenwarnkommissionen umgekehrt in eurer Arbeit ein? Sind diese auch in die Erstellung der Berichte involviert?

Veronika: Von den Kommissionen kommen auch einige Rückmeldungen, gerade die Skigebiete haben ja auch Kommissionen und die melden uns immer Beobachtungen zum Wetter, Lawinenereignisse und Sprengerfolge zurück. Wenn wir im Gelände unterwegs sind, dann schauen wir auch oft, dass wir jemanden von den Kommissionen oder von den Nachmittagsbeobachter:innen dort treffen. Wir sind ja in ihrem Beobachtungsgebiet und dort sind sie die Spezialist:innen. Sie machen ja an sich eine ähnliche Arbeit wie wir, nur eben für einen eingeschränkteren Bereich und kennen darin jeden Hang in diesem Bereich und wissen genau – dieser Hang schaut jetzt gerade anders aus und darauf muss man dann eventuell achten. Also, das sind schon wichtige Infos, die wir von den Kommissionen bekommen, weil deren Beobachtungen immer am gleichen Punkt gemacht werden.

Verena: Was zählt sonst noch zu deinen Aufgaben abseits des Lawinenberichts?

Veronika: Die Erstellung des Berichtes ist eben nur ein Bestandteil meiner Arbeit. Es gibt auch noch viel rundherum – etwa zum Organisieren, Optimieren und so weiter. Da kommt zum Beispiel die Ausbildung der Lawinenwarnkommissionen dazu. Wir schauen also, dass die Leute die uns Informationen geben, eine gewisse Ausbildung bekommen, damit wir einen gewissen Standard einhalten können. Wir wollen auch immer den Bericht weiterentwickeln und unsere Webseite weiterentwickeln, damit das besonders nutzerfreundlich ist. Ein großer Punkt ist auch die europaweite Absprache. Es gibt die EAWS, die versucht, Standards zu setzen, die von allen verschiedenen Warndiensten dann umgesetzt werden, so findet immer eine Absprache zwischen den Warndiensten statt. Dann gibt es natürlich auch noch andere Partner, wie zum Beispiel die Wildbach- und Lawinenverbauung, die Alpinpolizei und die Flugpolizei, die uns in unserer Arbeit unterstützen, sei es durch Hubschraubereinsätze oder Sonstiges. Wir sind natürlich auch im Gelände unterwegs – das ist wichtig, dass wir nicht nur im Büro sitzen, sondern auch ein Gefühl bekommen, wie es draußen ausschaut. Uns ist auch wichtig, dass wir die Nähe zu den Nutzer:innen haben. Also wenn es irgendwelche Fragen oder so gibt, kann man uns Emails schreiben und wir versuchen, die Fragen zu beantworten, weil wir ja ein Produkt anbieten, das von jedem genutzt werden kann und auch von vielen benutzt wird, weil es ja etwas Sicherheitsrelevantes ist.

Die Regionen des Bundeslands Salzburg. Für jede Region wird quasi ein eigener Lawinenbericht den Verhältnissen entsprechend erstellt. – © LWD Salzburg

Verena: Sehr gut, vielen Dank. Dann sind wir schon bei der Abschlussfrage: Wie wird man denn eigentlich Lawinenvorhersagerin? Du hast bereits erwähnt, dass du Meteorologin bist.

Veronika: Genau, ich habe Meteorologie studiert und es war auch privates Interesse dabei, denn ich gehe sehr gerne und oft Skitouren. Ich gebe beim Bayrischen Lawinenwarndienst seit einigen Jahren als Beobachterin Rückmeldungen. Es schadet sicher nicht, wenn man schon etwas Erfahrung hat mit dem Graben von Profilen und dem Durchführen von Stabilitätstests, also dass man sich mit dem Thema schon etwas auseinandergesetzt hat. Aber es gibt nicht den einen Weg, wie man dazu kommt. Auch das Meteorologie-Studium muss nicht sein, es ist aber natürlich praktisch, weil das Wetter schon eine wichtige Rolle spielt. Aber generell, alles was einen Bezug zum alpinen Gelände hat, ist auch ok.

Verena: Also das Meteorologie-Studium ist keine Voraussetzung für deinen Job als Lawinenvorhersagerin? 

Veronika: Ein anderes Studium funktioniert auch, zum Beispiel „Alpine Naturgefahren“. Ein Kollege von mir hat das zum Beispiel studiert. Es kommt auch darauf an, wie man sich im Studium spezialisiert. Also wenn man zum Beispiel Geographie studiert hat, aber viel mit Schnee und Eis zu tun hat, ist das wahrscheinlich auch kein Hindernis.
Bei uns im Team ist es natürlich schon von Vorteil, wenn man Meteorologie studiert hat, da der Lawinenwarndienst ja zu GeoSphere Austria gehört und ich im Sommer ja einen anderen Aufgabenbereich habe. 

Verena: Was sind deine Aufgaben im Sommer?

Veronika: Ich bin im Sommer als Umwelt-Meteorologin tätig und da umfassen meine Tätigkeiten hauptsächlich Ausbreitungsrechnungen, unter anderem Emissionsausbreitung. Da geht es oft um Bauprojekte, wo man schauen muss, wie sich die Belastung für die Anwohner verändert, z.B. durch Entlastungsstraßen oder Ortsumfahrungen. Aber auch Biomasseheizwerke werden von uns  gerechnet. Oder wir stellen aufbereitete Daten von unseren Messstationen zur Verfügung.

Verena: Gibt es etwas, das du unseren Leser:innen noch mit auf den Weg geben möchtest? Was sollten sie unbedingt bedenken bei der Tourenplanung?

Veronika: Wir versuchen, mit dem Bericht eine Einschätzung abzugeben, die den Leuten helfen soll, ihre Tour zu planen, aber wir wollen mit dem Bericht die Leute auch anregen, dass sie sich selbst mit der Materie auseinandersetzen. Der Lawinenbericht kann nicht 100% korrekt sein für jeden Hang, sondern ist eine Beurteilung für ein Gebiet. Darum versuchen wir auch darüber hinaus, ganz viel nach außen zu kommunizieren: Mit unserem Blog und auch mit unserem Facebook– und  Instagram-Account, wollen wir Wissen vermitteln, damit die Leute immer besser vorbereitet im Gelände unterwegs sind. Und das Erstellen des Lawinenberichtes funktioniert natürlich nur durch die Zusammenarbeit mit unseren vielen Partner:innen!

Author: Verena Gruber