Wie viel Anreiz brauchen wir?

Im POW Mobility Month März wollen wir uns mit Themen der Mobilität auseinandersetzen. Die Art der An- und Abreise zur Arbeit, in der Freizeit oder auch in den Urlaub, zum Beispiel ins Lieblings-Skigebiet haben große Auswirkungen auf das Klima. Pendler:innen verbrauchen beispielsweise zu 93% weniger CO2, wenn sie mit der Bahn zur Arbeit reisen. Aus diesem Grund bringt uns Martin seine eigenen Erfahrungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln näher. Er verbindet diese Erfahrungen mit Expertenmeinungen, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit in seinem Bachelorstudium getroffen wurden und zeigt, wie wir alle zu einer gelungenen Mobilitätswende beitragen können.

Es ist ein bewölkter Frühwinter Tag Ende Oktober und ich sitze im Bus nach Innsbruck. Gerade hatte ich einen meiner ersten Skitage dieser Saison und obwohl am Stubaier Gletscher nach dem Hitzesommer verhältnismäßig wenig Pisten geöffnet sind, hatte ich Spaß. Voller Vorfreude auf den bevorstehenden Winter zog ich ein paar Schwünge und teilte mir den Berg nur mit einigen Rennteams und Skikursen.

Nun, auf dem Heimweg, lasse ich den Tag Revue passieren. Wie bei der Anreise auch, bin ich nahezu der einzige im Bus. Doch ich weiß, schon in wenigen Wochen wird sich die Situation am Gletscher und im Tal drastisch verändert haben. Mitte November, wenn der Freestyle-Weltcup sein Lager am Gletscher aufschlägt und der erste Neuschnee viele Tiroler:innen und Tagestourist*innen aus Deutschland anlockt, hält der „echte“ Winter Einzug.

Nur wenige Zeit später, wenn die niedrig gelegenen Skigebiete genug Maschinenschnee erzeugt haben, um die Pisten zu öffnen, beginnen in einigen Nachbarländern bereits die Winterferien. Das Verkehrsaufkommen wird mindestens bis zum Ende der Ferien weiter steigen. In dieser Zeit wird die Skibus Fahrt eine andere sein, nicht nur wird der Bus deutlich voller, auch die Straße wird sich füllen und damit auch Parkplätze und Autoschlangen. Die Anfahrtszeiten zum Skigebiet werden länger und die Gemüter des ein oder anderen Reisenden und Einheimischen werden sich erhitzen. Zu dieser saisonalen Verkehrsentwicklung kommt es nicht nur im Stubaital, es ist ein in vielen Skiregionen beobachtbares Phänomen.

So schauen typische An-/Abreisetage bei den Zubringerstraßen in Wintertourismusregionen aus. Erhitzte Gemüter höchstwahrscheinlich inklusive. – © iStock

Das Emissionsproblem

Noch immer wählen drei von vier Tourist:innen das Auto für einen Skiurlaub in Tirol und das obwohl An- und Abreise rund die Hälfte der Emissionen eines Urlaubs ausmachen – bei einzelnen Skitagen ist der Anteil noch merklich höher. Besonders zur Hauptsaison und in Ferienzeiten intensiviert sich dieses Problem. Und als ich so alleine im Skibus saß, fragte ich mich: “Muss das sein?”

Wäre es nicht möglich, eine andere Form der An- und Abreise im Wintertourismus zu etablieren? Wenn ja, bräuchte es dafür neben der Bereitschaft der Tourist*innen auch infrastrukturelle Unterstützung und Ausstattung der Gemeinden und Regionen?

Im Rahmen meines Studiums versuchte ich, diesen Fragen in einer wissenschaftlichen Arbeit auf den Grund zu gehen. Hierfür führte ich zwei Interviews und versuchte anschließend, die aus den beiden Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse zu vereinen und Antworten zu finden.

Das erste Interview führte ich mit einer in Tirol tätigen Mobilitätscoachin. Ihre Tätigkeit liegt im Bereich des Marketings und an der Schnittstelle zwischen allen Akteuren des Tourismus. Ziel ist es, die Bedürfnisse der Akteure im Feld so zu koordinieren, dass in Zukunft nachhaltige Mobilität im Tiroler Tourismus Realität wird. Das zweite Interview führte ich mit einem Mobilitätsforscher der Universität Innsbruck, er arbeitet im Bereich der Verkehrsplanung und -verhalten. An den Ausgangspunkt meiner Arbeit stellte ich die Frage: “Welche Anreize können zu einer nachhaltigen Mobilität im Tourismus führen?” Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Arbeit präsentiert werden.

Die Macht der Gewohnheit

Laut der Mobilitätscoachin spielt die Kommunikation eine wesentliche Rolle für die Nutzung eines nachhaltigen Mobilitätsangebots. Besonders die Sprache ist von Bedeutung, denn oft bestehen bereits einige Angebote zur nachhaltigen Anreise, jedoch sind gerade Tourist:innen aus dem überregionalen Raum nur schlecht darüber informiert. Eine länderübergreifende Buchungsmöglichkeit oder Kooperationen zwischen unterschiedlichen Verkehrsbetrieben würden dieses Problem verringern.

Nächtigungen in Österreich 2018 nach Herkunftsländern mit Änderung zu 2017. (Pröbstl-Haider, 2021)

Passenderweise stellt der Verkehrsforscher das Modell eines Gepäckservices vor. Lange Zeit bestand in europäischen Ländern die Möglichkeit für Tourist: innen bereits vor dem Start in den Skiurlaub ihr Gepäck in die Destination liefern zu lassen. Dies ermöglichte eine angenehme An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Einschränkungen durch zu viel Gepäck konnten so verhindert werden. Allerdings wurde der Gepäckservice nur sehr schwach beworben und selten in Anspruch genommen, weshalb die Kooperation der DB und ÖBB eingestellt wurde.

Dieses Beispiel weist auf ein häufig erwähntes Problem der öffentlichen Anreise hin. Durch das zusätzliche Gepäck entsteht scheinbar mangelnde Flexibilität. In Anbetracht der Gewohnheit mit dem Auto anzureisen, wird das Gepäck in öffentlichen Verkehrsmitteln als belastend empfunden. Leihangebote, die mittlerweile in allen Skigebieten vor Ort angeboten werden, können dieses Argument entkräften. Zudem sparen Lehrmaterialien Platz in der eigenen Wohnung und tragen zur lokalen Wertschöpfung bei.

Snowboard und Ski sind sperrig, hat man dann noch Koffer oder Rucksäcke mit, kann es schon anstrengend werden. In den S-Bahnen der ÖBB findet man allerdings meist gut Platz, die Sachen abzulegen! – © Susanne Kraft

Besonders unter Tagestourist:innen sieht die Mobilitätscoachin die Gewohnheiten als wohl größte Hürde. Auch ich kenne das Gefühl der Bequemlichkeit, jedoch sollten vor allem Personen aus der Region an einem gut funktionierenden, öffentlichen Personennahverkehr interessiert sein und diesen nutzen beziehungsweise davon profitieren. Gerade Ortsansässige, sind es, die nicht nur in der Freizeit, sondern auch im Alltag unter einem großen touristischen Verkehrsaufkommen leiden und über das ganze Jahr selbst etliche Kilometer durch eine gute öffentliche Anbindung leichter einsparen könnten. Die Expertin benutzt dafür den Begriff der Lebensweggestalter:innen.

Alle Anwohner:innen können sich aktiv für die Nutzung des ÖPNV entscheiden und somit  Forderungen nach einem Ausbau des ÖPNV Gewicht verleihen. Laut ihr ist dieser Schritt maßgeblich für eine gelungene Mobilitätswende. Auch wenn der Impuls von der örtlichen Bevölkerung kommt, so sollte eine ganzheitliche Verkehrswende die Interessen der Einheimische und Tourist:innen gleichermaßen beachten, am Ende werden beide Gruppen von einer entspannten Verkehrssituation profitieren und so attraktive Angebote entwickelt werden.

Auswirkungen der Pandemie

Neben der Gewohnheit kam durch die Covid19-Pandemie eine weitere große Hürde für die öffentliche Anreise hinzu. Laut Beobachtungen der Verkehrsforscher:innen der Uni Innsbruck führte das erhöhte Ansteckungsrisiko in öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Zunahme der Anreise mit dem PKW, zugegebenermaßen ist das Ansteckungsrisiko in einem Auto mit der Familie oder Mitbewohner:innen deutlich geringer als in einem öffentlich zugänglichen Bus. Gleichzeitig betonte der Wissenschafter aber, dass es sich hierbei um eine Ausnahmesituation handelte und er nicht versichern könne, ob daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen werden können.

Inter- versus Intra-Destination

Wie mir zum Einstieg des Interviews an der Uni Innsbruck erklärt wurde, unterscheidet die Mobilitätsforschung zwischen dem Inter- und Intra-Destinationsverhalten. Inter-Destination meint die An- und Abreise von Tourist:innen aus dem Herkunftsort in die Urlaubsregion. Der Schwerpunkt der Forschung liege aber überwiegend auf dem sogenannten „Intra-Destinations Verhalten“, damit ist das Mobilitätsverhalten in der Urlaubsregion selbst gemeint. Beide Expert:innen gaben mir in den Gesprächen zu verstehen, wie sehr es einen attraktiven Nahverkehr vor Ort bedarf, um Tourist:innen Anreize zu bieten, auch die Anreise mit nachhaltigen Verkehrsmitteln anzutreten.

Innsbruck hat ein sehr gutes ÖPNV-Angebot in einer großen Tourismusregion. Die vielen Skier in den Fahrzeugen zeigen, dass es gar nicht schlimm ist, dieses Angebot als Wintersportler:in zu nutzen. – © Daniel Bear

Durch hohe Taktzeiten und moderne Transportsysteme kann es gelingen, das Auto am Urlaubsort überflüssig zu machen. Natürlich, betont die Mobilitätscoachin, stelle dies Tourismusregionen in Zeiten einer hohen Individualisierung vor Herausforderungen. Jedoch reagieren bestimmte Unterkünfte bereits mit hauseigenen Angeboten, sie bieten Gästen beispielsweise E-Autos oder E-Bikes für kleine Ausflüge in der näheren Umgebung an.

Dieses Angebot birgt aber auch Gefahren für kleine Tourismusbetriebe, diese machen in Tirol circa 30-40% der Unterkünfte aus. Kleinbetriebe können solche Dienstleistung oftmals kaum alleine stemmen, beide Expert:innen sehen deshalb große Interessenverbände in der Pflicht. Gerade kleine Betriebe sollten unterstützt und damit ein allgemeiner Ausbau der gesamten Infrastruktur vorangetrieben werden. Das alternative Mobilitätsangebot solle so attraktiv wie nur möglich gestaltet werden.  Dazu können finanzielle Anreize für Touristiker:innen aber auch für die Reisenden beitragen. Der Verkehrsforscher wies mich dabei auf folgende Problematik hin: Während Bahn oder Bus die Eigenschaft haben, mit zunehmender Personenzahl teurer zu werden, nimmt der Preis für eine Autofahrt bei Vollauslastung ab.

Im Vergleich zur Mobilitätscoachin geht der Forscher deshalb noch weiter. Er erwähnt nicht nur einen Ausbau der Alternativen, sondern auch einen möglichen Rückbau bzw. Einschränkungen der bisher klassischen PKW-Anreise. Im österreichischen Alpenraum gibt es bisher aber keine realistischen Rückbauvorhaben und somit fällt es schwer, die Auswirkungen eines solchen Rückbaus vorherzusagen. Wie der Wissenschaftler betont, bestehe lediglich in Orten, die in einem Talschluss liegen und somit nicht als Durchfahrtsort genutzt werden, die Möglichkeit, ein PKW-Fahrverbot auszusprechen und Shuttle-Systeme einzurichten.

Wandel in und durch die Gesellschaft

Wie in den geführten Interviews deutlich wurde, sprechen leider nach wie vor zu viele Faktoren für eine Anreise mit dem Auto. Dennoch, die Empfehlungen der Expert:innen sind klar, es liegt an der Gesellschaft, die vorhandenen Angebote zu nutzen. Wir bei POW freuen uns, die Möglichkeiten und Vorteile der öffentlichen Anreise aufzuzeigen. Wie die Expert:innen erwähnten, stehen aber auch die Politik und machtvolle Institutionen wie etwa Tourismusverbände in der Verantwortung. Sie können durch infrastrukturelle Stärkungen und finanzielle Anreize zur Attraktivität nachhaltiger Mobilität beitragen. Letzten Endes kann so eine für Einheimische und Tourist:innen gleichermaßen sinnvolle Mobilitätswende in Gang gesetzt werden. Ziel sollte es dabei immer sein, eine langfristige Nutzung der Natur als Erholungsraum gewährleisten zu können.

Auch wenn die in den Interviews gestellten Forderungen jetzt ziemlich groß klingen, so trägt jede Busfahrt zu ihrer Umsetzung bei. Ich freue mich bereits jetzt darauf, im nächsten Frühwinter wieder im Skibus zum Stubaier Gletscher zu sitzen und zu beobachten, wie die Skibusse immer voller werden, das Busangebot weiter wächst und die Parkplätze immer leerer und kleiner werden.

Du wärst nach diesem Artikel motiviert, selbst eine aktivere Rolle in der Lösung dieser Problematik zu übernehmen? Werde Mitglied bei uns und unterstütze uns auf vielseitige Art und Weise – wir sind mit einigen Akteur:innen vernetzt und haben selbst eine Arbeitsgruppe zum Thema Mobilität! Hier findest du Tipps, wie dein nachhaltiger Winterurlaub gelingen kann.

Quellen:

  • Ulrike Pröbstl-Haider, Dagmar Lund-Durlacher,
    Marc Olefs, Franz Prettenthaler. Tourismus und Klimawandel. Open Access Springer Spektrum (2021). ISBN978-3-662-61521-8.

Titelbild © Thomas Obermair

Author: Martin Svejkovsky