Welchen Wert hat die Natur? – Das Konzept der Ökosystemdienstleistungen
Wir Menschen brauchen die Natur zum Überleben. Ihre Systeme, Kreisläufe und Leistungen sichern unser tägliches Leben. Sie spenden uns frische Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken und Nutzen, fruchtbaren Boden für unsere Nahrungsmittelproduktion, Schutz vor potenziell gefährlichen Naturprozessen sowie auch Rückzugsorte für unseren Seelenfrieden. Die Prozesse und Leistungen der Natur sind auch im Kampf gegen die Folgen der Klimaerwärmung von entscheidender Bedeutung, und so zählen natürliche Kohlenstoffsenken wie Moore und Wälder immer noch zu den effizientesten.
Das Konzept der Ökosystemdienstleistungen (ÖSD) versucht, diese Notwendigkeit bzw. den Nutzen der Natur und ihrer ökologischen Systeme für den Menschen zu beschreiben und ökonomisch zu bewerten. Diese ökonomische Bewertung soll das Bewusstsein der Bevölkerung für die Leistungen der Natur schärfen und somit zur langfristigen Sicherung der ÖSD beitragen. Denn auch wenn sich fast alle Menschen einig sind, dass wir die Natur zum Überleben brauchen, sind die ökonomischen Argumente für ihren ganzheitlichen, großräumigen und langfristigen Schutz oft noch zu leise.
Die ethische Diskussion, die durch eine solche monetäre Bewertung der Natur einhergeht, möchten wir hier mit diesem Beitrag anregen.
Was sind Ökosystemdienstleistungen?
Wie zu Beginn bereits erwähnt, stellt uns die Natur eine Vielzahl an direkten und indirekten Gütern und Leistungen zur Verfügung, welche die Grundlage für unser Überleben sowie unser Wohlbefinden darstellen. Die langfristige Erhaltung von Ökosystemdienstleistungen steht in direktem Zusammenhang mit unserer Lebensqualität, denn werden die Funktionen dieser ÖSD ge- oder zerstört, können wir auch nicht mehr von ihnen profitieren. Die direkten und indirekten, kurz- sowie langfristigen Auswirkungen unseres Handelns auf die komplexen Systeme der Natur – und somit der ÖSD – werden immer besser verstanden. Die Funktion von Ökosystemen hängt dabei von vielen, zusammenspielenden Dingen ab. Dem Erhalt der biologischen Vielfalt, also der Biodiversität, wird hierbei ein besonders hoher Stellenwert zugeteilt, da diese eine wichtige Grundlage für die Widerstands- sowie Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen darstellt.
Welche ÖSD unmittelbar für unsere Lebensqualität entscheidend sind, auch finale ÖSD genannt, wurde von mehreren Studien erforscht. Die 2001 von den UN in Auftrag gegebenen „Millennium Ecosystem Assessments“ (MEA) diskutieren dabei nicht nur den Zustand und die Entwicklung weltweiter Ökosysteme und ihrer Dienstleistungen in den letzten 50 Jahren, sondern zeigen auch Zusammenhänge sowie Zukunftsszenarien auf und leiten davon Handlungsempfehlungen ab. Insbesondere aber teilt diese Studie ÖSD in vier Kategorien ein:
- Versorgungsdienstleistungen: Nahrung, Wasser, Energie, Medizin
- Regulierende Dienstleistungen: Klimaregulation, Schutz vor potenziell gefährlichen Naturprozessen und Krankheiten, Wasser- und Luftreinigung, Abbau organischer Stoffe
- Kulturell bedeutsame Dienstleistungen: Dienstleistungen von Ökosystemen, die der Erholung, Ästhetik, Bildung und Spiritualität, also dem seelischen Wohlbefinden, dienen
- Basisdienstleistungen: Bodenbildung, Nährstoffkreislauf, Primärproduktion durch Photosynthese
Wofür brauchen wir Ökosystemdienstleistungen?
Ökosystemdienstleistungen sichern unser Wohlbefinden sowie unser Überleben. Rein ökonomisch betrachtet sind diese kontinuierlich zur Verfügung gestellten Leistungen und die Ökosysteme, die sie erbringen, unbezahlbar. Um unser eigenes Wohlergehen, sowie jenes zukünftiger Generationen, zu gewährleisten, müssen die Ökosysteme und die Leistungen, von denen wir profitieren, erhalten und keinesfalls aufgebraucht werden. Die Folgen von degradierten oder zerstörten Ökosystemen auf ihre „Ertragsfähigkeit“ bezüglich ihrer ÖSD sind zeitlich wie räumlich oft weitreichender als die Eingriffe, die dazu geführt haben. Aus diesem Grund ist Naturschutz nicht nur ein idealistischer Akt, sondern ein Instrument der Kapitalsicherung und im Sinne der Nachhaltigkeit ein Instrument der gesellschaftlichen Zukunftsvorsorge.
Viele Dienstleistungen der Natur werden oft als gegeben und kostenlos angesehen und ihr „Wert“ fällt erst bei einer Verschlechterung oder Nichterbringung auf. Dieser ökonomische Wert von ÖSD lässt sich oft nur indirekt ermitteln, da er sich nicht in Märkten oder Preisen widerspiegelt. Insbesondere, da die Dienstleistungen eines Ökosystems oft nicht dort konsumiert werden, wo sich das Ökosystem befindet bzw. die Schäden bei einer Verschlechterung eines Ökosystems oft nicht dort auftreten, wo die Menschen von diesen Dienstleistungen profitieren.
Gleichzeitig basiert die rasante globale wirtschaftliche Entwicklung und die damit einhergehende rapide wachsende Nachfrage nach Nahrung, Wasser und Energie auf der Degradierung und Zerstörung von Ökosystemen weltweit. Doch wir spüren die mit der zunehmenden Verschlechterung dieser Ökosysteme einhergehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten immer mehr und immer härter. Die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme, die unser Überleben sichern, nehmen durch ihre langjährige nicht nachhaltige Nutzung stark ab und führen zunehmend zu unkontrollierbaren und unvorhersehbaren Risiken. Die Tragfähigkeit dieser Ökosysteme wird immer öfter überschritten und Kipppunkte werden erreicht. Herauszufinden, wo diese Kipppunkte (“points of no return”), sind und wie wir die Übernutzung von Ökosystemen umkehren können, um ihre Dienstleistungen weiterhin nutzen können, ist eine essentielle globale Herausforderung.
Welchen Wert hat die Natur?
Die Umsetzung des Konzepts der ÖSD geht jedoch mit zahlreichen Herausforderungen einher. Einen direkten ökonomischen Wert auf die Leistung von Ökosystemen und die biologische Vielfalt zu setzen, ist ein komplexes Unterfangen. Das deutsche Bundesumweltministerium hat gemeinsam mit der EU-Kommission 2007 die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ veranlasst, um diesen Wert besser einschätzen zu können. Die 2010 erschienenen Ergebnisse geben der Politik wie auch der Gesellschaft ein Werkzeug in die Hand, ÖSD besser fassbar zu machen und somit nachhaltiger zu schützen. Die Studie bestätigt, dass der ökonomische Wert von ÖSD für die Gesellschaft wesentlich höher ist als gedacht: 4,4 bis 5,2 Billion US Dollar pro Jahr – so viel sind die ÖSD aus etwa 100 000 weltweiten Schutzgebieten, von denen die gesamte Weltbevölkerung profitiert in etwa Wert. Um diese Leistungen zu erhalten, müssen laut den Experten der Studie jährlich etwa 40 bis 45 Milliarden US Dollar aufgebracht werden.
Enorme Zahlen wie diese sind schwierig vorstellbar, doch sind die Kosten bzw. Folgen, die durch die Degradierung und Zerstörung von Ökosystemen für die Gesellschaft entstehen, wesentlich höher und meist noch schwieriger vorzustellen. So gibt die Studie als Beispiel den Zusammenbruch der Kabeljau-Fischerei vor der Küste Neufundlands in den 1990er Jahren an. Dort verloren als Folge der Überfischung mehrere zehntausend Menschen ihren Arbeitsplatz. Die wirtschaftliche Unterstützung und Umschulung der Betroffenen kostete mindestens 2 Milliarden US Dollar. Die ökologischen Folgen und Kosten für die küstennahen Ökosysteme sind hierbei gar nicht einkalkuliert. Beispiele wie diese existieren in schier endlosen Zahlen und werden durch das Voranschreiten des Klimawandels jedes Jahr mehr.
Dieses Beispiel zeigt, dass der verantwortliche Umgang mit Ökosystemen und dessen Ressourcen nicht nur die für uns notwendigen ÖSD erhält, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Investitionen in den Naturschutz sowie in die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen können somit auch ökonomisch begründet werden.
Um dieses Argument zu unterstreichen, müssen ÖSD in den regionalen wie auch globalen Kontext gesetzt werden. Global betrachtet ist der ökonomische Nutzen nachhaltiger und naturnaher Bewirtschaftungsformen generell höher als jener von intensiven Nutzungsformen. Die Landwirtschaft ist hier ein gutes Beispiel. Der Energieeinsatz in der Landwirtschaft der westlichen Industrieländer übersteigt die produzierten Leistungen deutlich. Dieser Widerspruch kann nur deshalb aufrechterhalten werden, weil die Preise für fossile Energie, Erdöl etc., nicht die tatsächlichen Folgen des Energieverbrauchs miteinbeziehen. Es wird also auf Kosten anderer Gebiete gewirtschaftet, etwa den Exportländern der fossilen Energien oder der billigen Futtermittel, die wir importieren. Die dort entstehenden Folgen der Degradierung der Ökosysteme, die diese fossilen Energien und Futtermittel zur Verfügung stellen, spürt die Landwirtschaft erst, wenn die Preise dafür steigen und in Folge auch die Preise für die landwirtschaftlichen Güter, die der Endverbraucher aber selten bereit ist zu zahlen.
Die Landwirtschaft ist auch ein gutes Beispiel für die Komplexität und Zusammenhänge der ÖSD, die wir nutzen. Sie ist gleichzeitig sowohl Bereitstellerin (in Abb. 2 sind einige ÖSD der Landwirtschaft gelistet) als auch Nutzerin von ÖSD. Die Hauptaufgabe der Landwirtschaft ist die Produktion von Nahrungsmitteln. Um diese Hauptaufgabe umzusetzen, ist die Landwirtschaft von vielen natürlichen Prozessen abhängig, etwa der Bodenfruchtbarkeit, Insektenbestäubung und der Verfügbarkeit von Wasser. Gleichzeitig verändert die Landwirtschaft seit Jahrhunderten großflächig die Ökosysteme, in denen sie arbeitet und beeinflusst diese dadurch, negativ aber auch positiv. Nährstoffverarmung, Bodenverdichtung und Veränderungen der lokalen Wasserkreisläufe sowie Wasser- und Luftverschmutzung stehen auf der negativen Seite dieser Bilanz.
Der Erhalt der Kulturlandschaft und der Artenvielfalt – viele Arten sind von Kulturlandschaften und landwirtschaftlich geprägten Habitaten abhängig – stehen auf der positiven Seite. Diese positiven Auswirkungen stehen aber fast ausnahmslos in Verbindung zu extensiven Wirtschaftsformen. Diese werden jedoch immer weniger, da sie wirtschaftlich oft weniger lukrativ sind als intensivere Wirtschaftsformen und somit von diesen verdrängt werden. So sind die positiven Auswirkungen der Landwirtschaft auf ÖSD oft nur mehr durch entsprechende Förderungen umsetzbar.
Die negativen Folgen der Landwirtschaft eröffnen aber einen Teufelskreis für die ÖSD, auf welchen die Landwirtschaft aufbaut. Immer intensivere Landnutzungsformen nutzen das Land und dessen Ressourcen mehr und mehr, bis sich dieses nicht mehr davon erholen kann und folglich nur mehr durch künstliche Nährstoff- und Wassereinträge produktiv nutzbar ist . Dieser Nährstoffeintrag sowie die Nutzung von Pestiziden hat ebenso weitreichende negative Auswirkungen, etwa auf die Insekten, die die angebauten Pflanzen bestäuben. So stürzt sich die Landwirtschaft durch die Degradierung der Ökosysteme und der ÖSD, von denensie lebt, in eine fatale Abhängigkeit.
Inwertsetzung von Ökosystemleistungen
Doch wie können ÖSD, wie saubere Luft und Wasser, ein Wert zugeordnet werden?
Bei manchen ÖSD ist dies einfacher als bei anderen: Etwa wenn die produzierten Leistungen von den Märkten unterstützt oder auf ihren Grundlagen Marktprodukte hergestellt werden. Bei öffentlichen Gütern, wie eben sauberer Luft oder Wasser, ist dies hingegen schwieriger umzusetzen. Um auch solchen ÖSD einen ökonomischen Wert zuzuordnen, können marktbasierte Instrumente genutzt werden, um wirtschaftliche Anreize zu schaffen, die Verhaltensänderungen anregen. Der Naturschutzbund Deutschland formulierte 2010 im Folder „Dienstleistungen von Ökosystemen“ drei Finanzinstrumente, um ÖSD in Wert zu setzen. Diese sind:
- Setzen von positiven Anreizen: Naturschutzmaßnahmen sollen durch diese positiven Anreize finanziell lukrativer werden. z.B. Honorierungen naturfreundlicher, nachhaltiger Bewirtschaftungsformen in der Landwirtschaft
- Setzen von negativen Preissignalen: etwa in Form von Nutzungsgebühren oder Mengensteuern, die auf den Markt einwirken und finanzielle Mittel lukrieren, die für den Erhalt oder die Renaturierung von Ökosystemen verwendet werden.
- Handelbare Nutzungsrechte für ÖSD: z.B. Emissions- oder Kompensationszertifikate
Die Verantwortung, ÖSD nachhaltig zu bewahren, damit wir als Gesellschaft noch lange davon profitieren können, muss von der Politik und der Wirtschaft übernommen werden. Eine Miteinbeziehung der ÖSD bei der Fördermittelverteilung in der Landwirtschaft wäre hier ein wichtiger Ansatz und könnte bei der Neugestaltung der Agrarpolitik der EU, welche derzeit diskutiert wird, Einzug finden. Es sind also vorausschauende Gesetzgebungen, Förderungen und Investitionen in den Erhalt der regionalen wie globalen Ökosysteme, die unsere ÖSD liefern, notwendig. Solche Investitionen tragen dazu bei, Krisen, etwa die Klimakrise, und Katastrophen zu mildern oder wenn möglich abzuwenden, und sichern somit unser Überleben. Auf den Erhalt und die Verbesserung von Ökosystemen und ihren Funktionen abgestimmte Naturschutzmaßnahmen sind meist sogar kostengünstiger als viele technikbasierten Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsmaßnahmen. Zudem ergeben sich dadurch auch oft positive soziale Effekte. Das Konzept der Ökosystemdienstleistungen gibt also Politik und Wirtschaft ein Werkzeug in die Hand, den Naturschutz zu finanzieren, um die Ressourcen der weltweiten Ökosysteme nachhaltig zu nutzen und davon zu profitieren.
Quellen:
Cooper, T., Hart, K., Baldock, D. (2009): The Provision of Public Goods Through
Agriculture in the European Union, Report for DG Agriculture and Rural
Development, Contract No 30-CE-0233091/00-28, Institute for European
Environmental Policy. London.
NABU-Bundesverband, Naturschutzbund Deutschland (NABU) (2010): Dienstleistungen von Ökosystemen,
MA (2005): Millennium Ecosystem Assessment Ecosystems and Human Well-Being: Synthesis, Island Press, Washington, D.C.
Schulz, C., Mayer M. (2021): Ökosystemdienstleistungen – ein Mehrwert für die Forstwirtschaft?. AFZ-Der Wald 03/2021 S. 24 – 28,
TEEB (2010a): The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Ecological and Economic Foundations, ed. by Pushpam Kumar. Earthscan, London and Washington, D.C.
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