Besetzung für’s Klima – Interview mit Amina Guggenbichler von Erde brennt Wien

Seit dem 16. November besetzen Klimaaktivist:innen den Hörsaal C1 am Campus der Universität Wien. Als ich eine Woche später vorbei schaue, sind knapp 100 Leute anwesend. Im Hörsaal läuft gerade ein Vortrag, im Foyer wird leidenschaftlich debattiert und fleißig gekocht. Amina Guggenbichler setzt sich im Schneidersitz auf einen Teppich, lächelt und sagt stolz: „Das ist heute schon mein drittes Interview.“  Als Sprecherin der Bewegung ist sie quasi über Nacht in Österreichs Medienwelt präsent geworden . Und sie ist eine jener 30-50 Personen, die auch nachts in der Uni bleiben. Mit mir spricht sie über ihre Motivation, den Sinn der Besetzung und konkrete Forderungen von Erde brennt

Gegen welche drei Krisen protestiert ihr hier aktuell? 

Motiviert für diesen Streik wurden wir durch die weltweite Bewegung „End Fossil – Occupy“, welche einen Klimafokus hat und ganz laut fordert: Raus aus Fossilen, rein in erneuerbare Energieträger. Wir Aktivist:innen in Wien sagen aber, dass die Klimakrise nicht nur als eine Krise alleine betrachtet werden kann, sondern dass in die Klimagerechtigkeit, von der in dem Zusammenhang gesprochen wird, auch die soziale Gerechtigkeit und die Bildungsgerechtigkeit miteinfließt. Aus diesem Grund fordern wir nicht nur Klimagerechtigkeit, sondern auch explizit soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit. 

Die “Erde brennt” Bewegung in Wien macht auf die Klimakrise aufmerksam,  möchte aber zugleich auch den Diskurs in sozialen Fragen anregen und fordert Bildungsgerechtigkeit ein. Das Rahmenprogramm besteht daher aus vielen verschiedenen Themenschwerpunkten. Am vergangenen Mittwoch gab es etwa einen Vortrag von Rise up for Rojava. 

In diesem Zusammenhang wird oft von einem Systemwandel gesprochen, der notwendig ist, um die multiplen Krisen, die du aufgezählt hast, zu bewältigen. Welche konkreten Maßnahmen fordert ihr denn, um diesen Systemwandel voranzubringen? 

Was unseren Protest auszeichnet ist: Wir haben Forderungen sowohl an die Politik, als auch an die Universität. In der Klimafrage ist das konkret der Ausstieg aus fossilen Energieträgern. 

Wie genau fordert ihr dieses Ziel von der Politik ein?

Unter anderem fordern wir ein neues, gültiges Klimaschutzgesetz in Österreich. Wir wollen, dass die Forderungen des Klimarats umgesetzt werden, da sind schon sehr viele Dinge ausgearbeitet und wir erinnern hier mit unserem Protest eigentlich lediglich die Entscheidungsträger:innen, diese Vorschläge, die es schon gibt, umzusetzen und einzuhalten. Wir fordern aber auch andere Maßnahmen, wie beispielsweise gratis Öffis bzw. zumindest leistbare Öffis für alle. Und da sind wir dann direkt bei der sozialen Frage: Wer kann sich die Öffis in Österreich überhaupt leisten? Gerade auch in anderen Bundesländern als in Wien. Im Rest von Österreich ist es ja nach wie vor oft sehr schwierig öffentlich von A nach B zu kommen. Wir fordern aber auch im Bezug auf die soziale Gerechtigkeit eine Steuer für Übervermögende, eine Reichensteuer, damit dieses Geld auch in soziale Einrichtungen, in Bildungseinrichtungen, in die Forschung usw. fließen kann. Zudem fordern wir ein angemessenes Hochschulbudget von mindestens 1,2 Milliarden Euro, damit zumindest die aktuellen Kosten gedeckt werden können und die TU Wien im Winter nicht schließen muss. Wir finden es auch nicht gut, dass Studierende, die jetzt angefangen haben zu studieren, schlechtere Bildungschancen haben. Das ist aktuell der Fall, da einfach weniger Professor:innen angestellt sind und Vorträge halten können. Dasselbe gilt für die Forschung, auch da fehlt es an Geldern. Während Konzerne, wie etwa die OMV, sich in Geld baden, müssen wir zurückstecken und werden alleine gelassen inmitten dieser drei großen gesellschaftlichen Krisen. 

Das Plakat vor dem Eingang zum Hörsaal C1 zeigt deutlich: Die Uni ist besetzt. Auch falls die Besetzung aufgelöst wird, soll der Protest weitergehen, so die Organisator:innen.

Jetzt ist ja vergangene Woche die Übergewinnsteuer für Energiekonzerne eingeführt worden – wie steht ihr dazu? 

Es müsste eine angemessene Übergewinnsteuer geben, die auch einen Impact hat und den sehen wir aktuell überhaupt nicht. Es ist auch gar nicht klar definiert, was mit den Geldern aus der Übergewinnsteuer passieren wird. Da fehlt es definitiv an Transparenz und wir brauchen hier klare Rahmenbedingungen. Bisher ist das viel zu schwammig formuliert seitens der Regierung. 

Du hast vorhin erwähnt, dass auch die öffentliche Mobilität eines der Kernthemen hier ist, wo noch einiges zu tun sei. Jetzt gibt es ja bereits das Klimaticket und Wien hat im europäischen Großstadt-Vergleich einige der günstigsten Öffi-Tickets – das ist aber noch nicht genug? 

Nein, ganz klar. Wir fordern auch hier ein deutlich höheres Budget, vor allem für den Öffi-Ausbau in den Regionen, wo es notwendig ist. Wir machen auch keiner Person einen Vorwurf, die das Auto präferiert, um z.B. in die Arbeit zu kommen, wenn es keine adäquate Alternative gibt. In Wien sind wir da privilegiert, die Stadt ist sehr gut angebunden. Aber in allen anderen Bundesländern in Österreich haben wir keinen gescheiten Schienenverkehr. 

Ein weiteres großes Problem ist, dass es auch an Personal für die öffentliche Infrastruktur fehlt. Daher stehen wir für eine Mobilitätswende ein, die es auch budgetär möglich macht, Menschen, die im öffentlichen Verkehr arbeiten – etwa als Lenker:innen – mehr wertzuschätzen und letztlich auch besser zu bezahlen, um so diese Berufe aufzuwerten und attraktiver zu machen. Ja, das Klimaticket ist super und ich habe auch selbst eines und nutze es viel, aber man muss dazu sagen, dass es für Armutsbetroffene oder für einkommensschwache Haushalte immer noch nicht leistbar ist. Und das sind aber die Gruppen, die es am meisten brauchen! 

Man gibt den Menschen ja damit auch eine Perspektive. Das 9-Euro-Ticket in Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür, denn da hat man auch gesehen, dass solche Angebote auch dankend angenommen werden von eben diesen Gruppen. Es geht ja nicht immer ums Pendeln für den Job, sondern es geht allgemein um Mobilität – auch mal die Familie besuchen zu können oder einen Ausflug zu machen. Günstige Öffis machen den Menschen das Leben lebenswerter. Aber auch beim 9-Euro-Ticket hat man gesehen, dass das nicht reicht. Wenn Öffi-Systeme überlastet sind, sobald nur ein paar Prozent mehr öffentlich unterwegs sind, zeigt das, dass die Infrastruktur einfach nicht mehr zeitgemäß ist und ausgebaut gehört. 

An der Besetzung gibt es auch einiges an Kritik. Am häufigsten hört man das Argument, dass ihr mit der Besetzung eines Hörsaals ja nicht die Entscheidungsträger:innen oder Verursacher der Krisen trefft, sondern damit Studierende und Lehrende stört. Was ist deine Reaktion auf diesen Vorwurf? 

Der Grund, warum wir an der Uni protestieren und einen Hörsaal besetzt haben, ist, weil das unser tägliches Handlungsfeld ist. Wir sind nicht mehr in der Schule und machen Schulstreiks. Wir sind aber auch nicht primär Arbeitende. Wir sind Tag für Tag in dieser Institution und gefangen in ihren Regeln und Strukturen. Und klar ist es ein großes Privileg, studieren zu dürfen. Aber genau diesen Punkt hinterfragen wir hier: Denn wem wird denn ein Studium überhaupt zugänglich gemacht? Der Punkt, warum wir hier sind, ist, um auf uns aufmerksam zu machen, um Gehör zu bekommen, weil wir hier täglich sind und auch hier mit diesen Krisen konfrontiert werden. Außerdem: Es gab tausendfach Demos die zu nichts geführt haben, es gibt Klebeaktionen, es gibt „Bildverschönerungen“ in Museen – und das sind auch alles kreative Protestformen, die entstanden sind, um auf die Dringlichkeit des Handelns hinzuweisen. Und wir beginnen eben hier mit der Besetzung, weil das unser Handlungsfeld ist. Das heißt aber auch nicht, dass der Protest hier bleiben wird. Der Protest wird auch nach der Besetzung weitergehen. Es kommen gerade auch wieder neue Energien hinzu, die Bewegung flammt quasi wieder auf, was super wichtig ist. Denn die Krisen werden sich nicht innerhalb der nächsten Wochen lösen lassen. Und irgendwann wird uns auch die Politik nicht mehr ignorieren können. 

Glaubst du, ihr könnt mit der Besetzung hier auch andere Leute ansprechen und motivieren, die nicht Teil dieser „Uni-Bubble“ sind?

Ja, das wünschen wir uns auch ganz stark und möchten auch dafür die Türen öffnen. Im Hörsaal sind alle willkommen, die zu unseren Forderungen stehen. Wir möchten auch außerhalb dieser elitären Struktur, die eine Uni nun mal ist, agieren und Menschen ansprechen. Darin bemühen wir uns und wir haben auch schon Schüler:innen und Arbeitende und Lehrlinge da, aber ja, hier wollen wir auch noch diverser werden und andere – mehr –  Gruppen ansprechen und motivieren. Wir finden, Bildung soll, wie der Protest hier auch, nicht an eine bestimmte Bildungsschicht, politische Aktivität oder z.B. an Deutschkenntnisse gekoppelt sein. Das ist auch für mich persönlich das besondere hier, denn ich selbst war vor diesem Protest noch nicht politisch aktiv und wurde sehr offen aufgenommen und darf jetzt für diese Bewegung sprechen, was mich sehr freut und motiviert. Ich glaube, ich kann da auch als gutes Beispiel voran gehen: Ich bin in keinem akademischen Haushalt aufgewachsen und trotzdem gerade hier, in dieser Position. 

Amina Guggenbichler ist die Sprecherin der Wiener Erde brennt Bewegung. Sie selbst sagt, sie sei ein gutes Beispiel dafür, wie divers die Gruppe der Besetzer:innen ist und dass auch Menschen, die beispielsweise nicht aus typischen Akademikerfamilien stammen, in den Diskurs eingebunden gehören. 

Wie kann oder soll man sich aber engagieren, wenn man gar nicht die Möglichkeit hat, hier vor Ort zu sein? Also wenn man zum Beispiel am Land wohnt und sich hier nicht aktiv beteiligen kann bei Erde brennt?

Aktivismus ist nicht nur auf die Straße gehen, mit Politikern reden oder hier an der Besetzung teilnehmen. Aktivismus ist auch, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen, zu reflektieren und auch mit anderen Menschen ins Gespräch zu treten. Aktivismus ist immer gekoppelt an Aufklärungs- und Bildungsarbeit und das kann wirklich jeder. Sich selbst zu informieren gehört genauso dazu, wie den eigenen Medienkonsum und die Seiten, denen man auf Social Media folgt, zu hinterfragen. Konkret “Erde brennt” kann man außerdem durch finanzielle Spenden unterstützen. Wir freuen uns aber auch, wenn du einfach über uns erzählst, unsere Postings teilst und auf unsere Aktionen hinweist. 

Weitere Infos zu Erde brennt findest du unter https://erdebrennt.at/

Author: Lena Öller