Melting Giants – Year of the Glacier 2025
Die UN hat das neue Jahr 2025 als Year of the Glacier ausgerufen. POW nimmt dies zum Anlass, um auf den Gletscherschwund und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft aufmerksam zu machen. Fotograf und POW Creative Alliance Mitglied Tobias Büttel hat sich bei seinem Projekt “Melting Giants” intensiv mit der Veränderung der Gletscher auseinandergesetzt und war unter anderem mit POW Science Alliance Mitglied Lindsey Nicholson am Hintereisferner unterwegs. Wie man die Veränderungen eines Gletschers messen kann und wie Tobi diese Erfahrung für Klimaschutz motiviert hat, erzählt er in diesem Blogartikel.
Mit Glaziologin Lindsey Nicholson am Hintereisferner
Die ersten Sonnenstrahlen lassen die Bergspitzen rot glühen, während sich unter mir das blaue Eis des Hintereisferners gut fünf Kilometer das Tal entlang streckt. Auf dem Zustieg zum Gletscher am Tag zuvor erzählte mir die Glaziologin Lindsey Nicholson, dass der Hintereisferner noch vor rund 150 Jahren beinahe doppelt so lange und mehrere Dutzend Meter dicker war. Während ich meinen Blick schweifen lasse, stelle ich mir vor, wie diese herrliche Landschaft wohl in Zukunft aussehen mag. Leider zeigen neueste Studien, dass das “ewige” Eis noch in diesem Jahrhundert beinahe komplett verschwinden könnte.
Seit nun mehr als drei Jahren beschäftige ich mich im Rahmen meines Fotoprojektes “Melting Giants” mit dem Schmelzen unserer Gletscher. Die Gletscher in den Alpen zeigen deutlich den voranschreitenden Klimawandel und bieten mir die Möglichkeit, die Erderwärmung fotografisch festzuhalten. Wer im Sommer öfter im Hochgebirge unterwegs ist, weiß wovon ich rede. Dort kann man die Auswirkungen der steigenden Temperaturen mit eigenen Augen sehen. Weltweit beschäftigen sich unzählige Forscher und Forscherinnen mit den Veränderungen der Kryosphäre (alle Formen von gefrorenem Wasser: Gletscher, Meereis, Eisschilde, Permafrost, Schnee) und leisten einen wichtigen Beitrag um die Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen. Im letzten Sommer hatte ich die Möglichkeit, Glaziologin Lindsey Nicholson von der Uni Innsbruck zum Hintereisferner für mein Projekt fotografisch zu begleiten. Im Folgenden bekommt ihr einen kleinen Einblick in Lindseys Arbeit.
Forschung am Hintereisferner
Schon seit 1952 misst die Uni Innsbruck die Massenänderungen des Hintereisferners im Ötztal. Damit ist er einer der am längsten beobachteten Gletscher weltweit. Die Weiterführung dieser Datenerhebungen ist daher von großer Bedeutung und wird von der Uni Innsbruck sowie dem Tiroler Wasserdienst unterstützt. Lindsey Nicholson ist zusammen mit Glaziologe Rainer Prinz für die jährliche Massenbilanz des Hintereisferners verantwortlich.
Die Massenbilanz eines Gletschers wird nicht auf das Kalenderjahr bezogen gemessen, sondern vom jährlichen kleinsten Zustand des Gletschers zum nächstkleineren. Das Bilanzjahr geht also von Ende September bis Ende September des nächsten Jahres. Ein positiver Wert entspricht einem Zuwachs, ein negativer Wert dem Verlust von Eis. Die Forscher messen dazu die Höhenänderung der Gletscheroberfläche an bestimmten Punkten – das Abschmelzen mit sogenannten Pegelstangen und den Zuwachs durch Schnee im Winter mit dem Graben von Schneeschächten. Seit gut 40 Jahren hat der Hintereisferner durchweg eine negative Massenbilanz. Dieser negative Trend hat sich seit 2003 leider nochmals verstärkt und neue Rekordwerte erreicht. Alleine im Jahr 2022 hat der Gletscher fünf Prozent seines Volumens verloren.
Auf dem Gletscher
Das Ziel unseres Trips zum Hintereisferner war zum einen das Vermessen von Pegelstangen, zum anderen das Nachbohren von Pegelstangen und Messinstrumenten auf dem Eis. Da wir Anfang August dort waren, standen dem Gletscher noch weitere Wochen Sommerhitze und somit eine starke Schmelze bevor. Wie mir Lindsey erklärte, können in den tieferen Lagen des Hintereisferner an einem einzigen heißen Sommertag 10 bis 20 cm Eisdicke abschmelzen.
Während die Messinstrumente auf dem Gletscher vor modernster Technik strotzen, sind die Pegelstangen einfach und funktional: 5 jeweils zwei Meter lange Holzstangen werden mit Stücken von Kunststoffschläuchen verbunden und in ein 10 Meter tiefes, senkrechtes Loch im Eis platziert. Das Loch wird mit einem futuristisch anmutenden Dampfbohrer gebohrt. Die Funktionsweise des Bohrers ist im Prinzip simpel: Ein Gaskocher erhitzt Wasser in einem Behälter und über einen Schlauch wird der Wasserdampf zu einer Düse geführt.
Durch das Schmelzen des Eises im Sommer werden die Stangen wieder freigelegt und man kann abmessen, wie viel Eis geschmolzen ist. Sind die Stangen zu weit herausgeschmolzen, wird ein neues Loch gebohrt. Neben den Pegelstangen wird das Abschmelzen auch mit anderen Messgeräten gemessen, zum Beispiel mit einem akustischen Sensor. Außerdem steht eine Wetterstation auf dem Gletscher, die alle möglichen relevanten Wetterdaten speichert.
Aktuelle Daten vom Gletscherhaushaltsjahr 2023/24
Dank Lindsey Nicholson und Rainer Prinz unermüdlicher Arbeit gibt es schon die ersten Daten aus dem Gletscherhaushaltsjahr 2023/2024 vom Hintereisferner. Mehr Informationen gibt es in dem jährlich erscheinenden Massenbilanzbericht, den die Uni Innsbruck publiziert.
Über den Winter 2023/2024 betrug der Massenzuwachs durch Neuschnee 1700 kg/m2. Diese Schneemenge entspricht einer Wasserschicht von 170 cm auf der gesamten Fläche des Gletscher. Grundlage für diesen sehr guten Wert, der fast 40 % über dem Durchschnitt des Jahrzehnts 2010-2020 lag, waren der schneereiche Winter sowie der kalte Frühling. Schnee ist jedoch nicht gleich Gletschereis. Der Umwandlungsprozess von Schnee zu Eis dauert bis zu 10 Jahre. Neues Eis kann somit nur an Stellen gebildet werden, wo der Schnee mehrere Jahre hintereinander den Sommer überdauert. Die weiße Pracht schützt den Gletscher aber auch vor warmen Temperaturen sowie Sonneneinstrahlung. So war der Hintereisferner dank des guten Winters bis in den Mai hinein von Schnee bedeckt.
So weit, so gut. Leider war jedoch besonders der August sehr heiß und trocken. Dadurch verlor der Hintereisferner trotz des guten Starts in den Massenveränderungszyklus bis zum Ende der Sommersaison fast seine gesamte Schneedecke und büßte auch diesen Sommer wieder einiges an Eis ein. Laut Rainer Prinz fiel der sogenannte Glacier Loss Day 2024 auf die Zeit rund um den 10. August. Der Glacier Loss Day markiert den Tag, an dem ein Gletscher seine über den Winter gewonnene Masse verloren hat und von nun an stetig abschmilzt. Die Massenbilanz für das gesamte Jahr 2023/2024 reiht sich mit -1100 kg/m2 in den negativen Trend der letzten Jahrzehnte ein. Der Verlust an Gletschereis im Vergleich zum Vorjahr entspricht einer 110 cm dicken Wasserschicht auf der gesamten Gletscheroberfläche. Natürlich hat der Gletscher nicht überall gleich viel Eis verloren. In den tieferliegenden Bereichen schmilzt das Eis schneller als in den hochgelegenen. So ist an der Pegelstange, die wir Anfang August besuchten und die dem Ende des Gletschers am nächsten liegt, 5,5 Meter Eisdicke seit dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2023 weggeschmolzen – ein erschreckender Wert. (Quelle: Rainer Prinz)
Ein Blick in die Zukunft unserer Gletscher
Es ist jetzt schon zur Normalität geworden, dass selbst die obersten Bereiche der Gletscher im Sommer fast komplett schneefrei sind. Metaphorisch gesprochen, blicken wir auf sterbende Gletscher. Unsere Berge bieten heutzutage keinen geeigneten Lebensraum mehr für das Überleben der Eisriesen. Neueste Modellergebnisse deuten leider darauf hin, dass etwa die Hälfte des Eises, das heute in Österreichs Gletschern vorhanden ist, sogar schon in den nächsten 14 Jahren abschmelzen wird. (Quelle: Rounce et al., 2023)
Selbst wenn wir die Erwärmung auf 1,5°C begrenzen, werden bis zum Ende des Jahrhunderts voraussichtlich nur weniger als 6 % der derzeitigen österreichischen Gletscher übrig bleiben. In anderen Regionen der Welt, wie zum Beispiel dem Himalaya, könnten bei 1,5°C jedoch noch größere Anteile an Eis erhalten bleiben. Begrenzen wir die Erwärmung hingegen nicht, sieht es für alle Gletscher weltweit schlecht aus. Folgen durch das Abschmelzen sind unter anderem der weltweite Meeresspiegelanstieg. Noch ist es aber nicht zu spät. Jeder Bruchteil eines Grad Erwärmung, den wir vermeiden, bedeutet einen geringeren Verlust an Gletschereis. Umso wichtiger ist es, jetzt zu handeln.
FROM HERE, We Act
Get to know POW 10.01.25 | Workshop 18 Uhr | Einlass 19 Uhr | Filmstart 20 Uhr
Zum Kick-Off des UN Year of the Glacier veranstaltet Protect Our Winters am 10. Jänner ein Get Together mit Workshop, Fotoausstellung, Filmscreenings und Gespräch, bei dem der Gletscherschwund und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft im Fokus stehen. Tobias Büttel und Richard Buchner zeigen ihre Fotoserien zu „Melting Giants“ und „FROM HERE“.
Die Filme Crying Glacier, Downstream und From Here schaffen Awareness für die Klimakrise und motivieren für Veränderung. Die Fotografen, Filmemacher:innen und Athlet:innen geben Einblicke in ihre Arbeit und laden euch ein, sich zu vernetzen und gemeinsam aktiv zu werden. Sichere dir jetzt dein Ticket.
Im POW Workshop erfährst du wichtige Fakten zur Klimakrise in den Alpen und wie du deine Stimme nutzen kannst, um dich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. Bitte um Voranmeldung.
Quellen:
Rainer Prinz, Mass Balance Hintereisferner Report 2023/2024
Rounce et al., (2023). Global glacier change in the 21st century: Every increase in temperature matters
ICCI, State of the Cryosphere Report 2024
Weiterführende Links:
Daten zum Hintereisferner – Universität Innsbruck