Alpine Naturgefahren – Wenn der Berg zur Gefahr wird
Österreichs Landschaftsbild wird dominiert von den Alpen. Dementsprechend ist die Landschaft geprägt von natürlichen Prozessen wie Felsstürzen, Lawinen oder Muren, die gegebenenfalls auch eine Gefahr für Menschen, Gebäude und Infrastruktur darstellen können. Das ist der Fall, wenn es durch natürliche Prozesse zu Todesfällen, Sachschäden oder anderen Beeinträchtigungen kommt.
„In den Alpen leben, heißt [..], mit Naturgefahren leben“ (Stötter & Fuchs 2006: 19). Naturgefahren waren und sind ein allgegenwärtiges Problem in alpinen Regionen. Wegen der höheren Reliefenergie und der intensiveren Niederschlagstätigkeit treten Naturgefahrenereignisse in den Alpen nicht nur häufiger, sondern in stärkerem Ausmaß auf als außerhalb des Alpenraumes (Stötter & Fuchs 2006). Zu früheren Zeiten gab es keine andere Möglichkeit, als sich auf die Naturgefahren einzustellen, also zum Beispiel Siedlungsbau in Lawinenstrichen zu unterlassen. Mittlerweile ist die Technologie ausgereifter und das Prozessverständnis größer. Neben den damals verfügbaren Schutzmaßnahmen (z.B. Ablenkdämme aus Steinen) gibt es heute ein großes Repertoire an Maßnahmen, die das Auftreten der Ereignisse möglichst verhindern oder zumindest den Prozess per se eindämmen (Mergili & Glade 2020).
Alpine Naturgefahren
Der Begriff Alpine Naturgefahren fasst alle natürlichen Prozesse mit potenziell negativen Konsequenzen im alpinen Raum zusammen. Diese können aufgrund ihres unterschiedlichen Ursprungs grundlegend in meteorologische, hydrologische und gravitative Naturgefahren gegliedert werden. Eine untergeordnete Rolle im Alpenraum spielen geophysikalische Naturgefahren (z.B. Erdbeben oder Vulkanausbrüche). Die Bedeutung von glazialen und periglazialen Naturgefahren (also im Zusammenhang mit Gletscher bzw. (Perma-) Frost) ist im Steigen begriffen – nicht zuletzt durch die Auswirkungen des Klimawandels. Meteorologische Naturgefahren umfassen beispielsweise Stürme und Starkregenereignisse, die ihrerseits wiederum Auslöser für gravitative oder hydrologische Naturgefahren sein können. Als Beispiele für hydrologische Naturgefahren können Sturzflut und Hochwasser angeführt werden. Als gravitative Naturgefahren werden jene Prozesse bezeichnet, bei denen die Gefährdung von einer, der Schwerkraft folgenden, hangabwärts gerichteten Materialverlagerung ausgeht. Das trifft sowohl auf die Prozesse Felssturz und Steinschlag zu als auch auf den Murgang, in den Monaten mit Schnee sind zusätzlich noch Lawinen möglich. Treten mehrere Naturgefahren in Kombination auf oder verstärken sich gegenseitig, spricht man von Multi-Hazards bzw. Kaskadeneffekten (Sattler & Mehlhorn 2020), also wenn beispielsweise Starkregenfälle ein Hochwasser UND einen Murgang auslösen (Mergili & Glade 2020). Nachfolgend sind die Kategorien alpiner Naturgefahren sowie Beispiele für Naturgefahrenprozesse augelistet.
Risiko
Im Kontext der Naturgefahrenanalyse und -beurteilung ist die Auseinandersetzung mit den Termini Risiko, Wahrscheinlichkeit, Vulnerabilität, Schutzziel und einigen weiteren wichtigen Begriffen notwendig, um die Dimension von Naturgefahren und mögliche Maßnahmen zum Gegensteuern besser einschätzen zu können.
Nicht jedes Naturereignis ist eine Naturgefahr. Damit ist gemeint, dass nicht jedes Niederschlagsereignis ein Hochwasser oder andere Prozesse auslöst. Die Gefahr besteht darin, dass von einem natürlichen Prozess eine Bedrohung für Mensch und Umwelt ausgehen kann (PLANAT 2012). Die negativen Folgen eines Naturereignisses werden als Schaden bezeichnet. Das Schadenspotenzial ist folglich jener Schaden, der durch ein Naturereignis möglicherweise eintreten könnte. Von einem Totalschaden spricht man, wenn das maximale Schadenspotenzial erreicht wird. Allgemein bereitet man sich jedoch auf das wahrscheinliche Schadenspotenzial vor. Dabei sind Maßnahmen zur Schadensreduktion schon eingerechnet. Diese zielen darauf ab, die Auswirkungen des Naturereignisses zu mindern. Die Vulnerabilität (Verletzlichkeit) charakterisiert die Anfälligkeit von Personen und Sachwerten für Schäden aufgrund einer Naturgefahr (PLANAT 2012). Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht den Zusammenhang zwischen den in diesem Kontext wichtigsten Begriffen.
Die Möglichkeit, dass ein Schaden, also eine unerwünschte Folge, eintreten kann, wird als Risiko bezeichnet (ASTRA 2012). Gemeinhin wird Risiko als eine Mischung von Gefahr und Vulnerabilität aufgefasst. Das Risiko drückt das Ausmaß (Intensität) und die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Schadens aus.
Umgang mit Naturgefahren
Die Präsenz von Naturgefahren manifestiert sich im Alpenraum nicht nur in der Landschaft, sondern auch in den gesetzlichen Grundlagen. Eine besondere Rolle spielen dabei Gefahrenkarten und Gefahrenzonenpläne, die einen Überblick über die Gefährdungssituation bieten. Auch den örtlichen Flächenwidmungsplänen liegt ein Gefahrenzonenplan zugrunde. So können beispielsweise potenziell betroffene Bereiche freigehalten und von einer permanenten Nutzung ausgeschlossen werden.
Eine andere Methode im Umgang mit Naturgefahren ist der Einsatz von Schutzbauten. Durch den Klimawandel treten Naturereignisse häufiger und in höherer Intensität auf. Daher müssen auch die Schutzbauten in ihrer Dimensionierung darauf angepasst werden. Allerdings stößt diese Strategie an Grenzen, die einerseits in der Statik begründet sein können, andererseits spielt auch der finanzielle Aspekt eine große Rolle. Neben der Errichtung der Schutzbauten ist auch die Instandhaltung mit hohen Kosten verbunden.
Die Einschätzung von und der Umgang mit Naturgefahren stellen eine große Herausforderung dar. Die Naturgefahren sind einem ständigen Wandel unterworfen (Sattler & Mehlhorn 2020). Das Verständnis der beteiligten Prozesse entwickelt sich durch innovative Forschungsansätze kontinuierlich weiter. Das betrifft nicht nur die Natur-, sondern vor allem die gesellschaftlichen Prozesse. Trotzdem sind Prognosen zu Extremereignissen immer mit großen Unsicherheiten verbunden, was u.a. auf die schlechte Datenlage zur Vulnerabilität zurückzuführen ist. Weiters ist es häufig schwierig, singuläre Extremereignisse, z.B. Felsstürze, entsprechend vorherzusagen und das dadurch gefährdete Gebiet zu prognostizieren und einzugrenzen (Mergili & Glade 2020).
Naturgefahrenmonitoring
Im Bereich des Naturgefahrenmonitorings konnten in den letzten Jahren aufgrund der technologischen Entwicklungen vielversprechende Fortschritte erzielt werden. So arbeitet etwa die Abteilung für Wildbachprozesse und Hydrologie des Bundesforschungszentrums für Wald an einem Frühwarnsystem für Muren. Der Prototyp namens INADEF (“Innovative Nowcasting based early wArning system for DEbris Flow events”) verarbeitet Niederschlagsprognosen und für Muren relevante lokale Geländeparameter. Damit sind Vorwarnzeiten im Stundenbereich möglich. Für den Naturgefahrenprozess Lawine arbeitet das Tiroler Unternehmen Lo.La Peak Solutions im Zuge des Forschungsprojekts CADS (“Camera-based Avalanche Detection System”) an einer Möglichkeit, die Lawinenaktivität auf Basis von Webcam Bildern quantitativ zu erfassen. Informationen über Lawinenabgänge sind nicht nur im Einzelfall wichtig, sondern auch insgesamt, etwa für die Erstellung des tagesaktuellen Lawinenlageberichts. Viele beobachtete Lawinenabgänge sind nämlich ein Indiz für eine allgemein hohe Lawinenaktivität und eine entsprechend hohe Lawinengefahr. Bisher blieben allerdings viele Lawinenabgänge unbemerkt. Nun wird eine KI (Künstliche Intelligenz) trainiert, die auf Webcam Bildern automatisch Lawinen detektiert und gegebenenfalls “Alarm schlagen” kann.
Naturgefahren im Klimawandel
Durch den globalen Klimawandel verändern sich viele Naturgefahrenprozesse. Welche Auswirkungen für alpine Naturgefahren zu erwarten sind und was das für das Auftreten von Extremereignissen heißt, erfährst du im nächsten Artikel.
Videoempfehlungen zum Thema
Video zu INADEF, Halltal: Gefahr durch Muren: Lawinen-Frühwarnung per Mail | Gut zu wissen | BR
Geologen bauen Messungen: Berg vor dem Sturz: Der Hochvogel zerbröselt | Schwaben & Altbayern | BR
Bergsturz von Bondo – Wie die Klimaerwärmung die Schweizer Alpen bedroht | Einstein | SRF Wissen
Referenzen
- ASTRA (2012): Naturgefahren auf den Nationalstrassen. Risikokonzept. Methodik für eine risikobasierte Prävention und Bewältigung von gravitativen Naturgefahren auf Nationalstrassen. Bern, Bundesamt für Strassen, 98 S.
- Glade, T.; Mergili, M. & Sattler, K. (Hrsg.) (2020): ExtremA 2019. Aktueller Wissensstand zu Extremereignissen alpiner Naturgefahren in Österreich. Wien, Vienna University Press, 776 S.
- Mergili, M. & Glade, T. (2020): Synthese. In: Glade, T.; Mergili, M. & Sattler, K. (Hrsg.): ExtremA 2019. Aktueller Wissensstand zu Extremereignissen alpiner Naturgefahren in Österreich. Wien, Vienna University Press, S. 31-44.
- PLANAT (2012): Risikodialog Naturgefahren. Fachbegriffe im Naturgefahrenbereich. Nationale Plattform Naturgefahren PLANAT.
- Sattler, K. & Mehlhorn, S. (2020): Überblick alpiner Naturgefahren in Österreich. In: Glade, T.; Mergili, M. & Sattler, K. (Hrsg.): ExtremA 2019. Aktueller Wissensstand zu Extremereignissen alpiner Naturgefahren in Österreich. Wien, Vienna University Press, S. 45-57.
- Stötter, J. & Fuchs, S. (2006): Umgang mit Naturgefahren. Status quo und zukünftige Anforderungen. In: Fuchs, S.; Khakzadeh, L. M. & Weber, K. (Hrsg.): Recht im Naturgefahrenmanagement. Innsbruck, Wien, Bozen, Studien-Verlag: S. 19-34.
- Link, S. & Stötter, J. (2015): The development of mountain risk governance. Challenges for Application. Natural Hazards and Earth System Sciences, 3: S. 429-455.
Headerbild: Darko Pribeg via unsplash