Nachhaltigkeit in Zeiten von Corona
Viel wird derzeit über die aktuelle Corona / COVID-19 Situation aus unterschiedlichen Perspektiven (Medizin, Recht, Volkswirtschaft, etc.) geschrieben. Vor Corona Zeiten waren der Klimawandel und Greta Thunberg’s #FridaysForFuture in aller Munde, derzeit hört man davon eher weniger. Dieser Blog-Beitrag möchte die folgenden drei Fragen aus einer EU-Recht Perspektive diskutieren:
1. Was bleibt von Nachhaltigkeit und Umweltschutz nach Corona übrig?
Der Gedanke der Nachhaltigkeit hat es 1987 in die EU geschafft. Dies war das Jahr in dem der berühmte Brundtland Bericht diesen Begriff wie folgt geprägt hat: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ Dieses Verständnis geht in eine ähnliche Richtung wie der bereits 1979 von Hans Jonas in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ formulierte „ökologische Imperativ“: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ (S. 36).
Das Verfassungsrecht der EU kann sich dann weiter entwickeln, wenn sich alle Mitgliedstaaten gemeinsam auf weitere Schritte einigen. Alle (von den Mitgliedstaaten einstimmig anzunehmenden) Änderungen der Gründungsverträge (1992 Maastricht, 1997 Amsterdam, 2001 Nizza, 2007 Lissabon) haben die Kompetenzen der EU im Umweltbereich schrittweise gestärkt. Das Nachhaltigkeitsprinzip findet sich heute nicht nur im Umweltbereich (Art. 191 AEUV), sondern auch ganz allgemein in den Zielen der EU (Art. 3 EUV), dies sowohl in Bezug auf den Binnenmarkt (die Union „wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas […] hin“), als auch in Bezug auf die Rolle der Union in der Welt („Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung“ etc.).
Innerhalb der EU ist Nachhaltigkeit zwar nicht definiert, man geht jedoch von einer notwendigen Balance von ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungen (sog. „Drei-Säulen-Konzept“) aus, also eine Balance von Umweltaspekten und anderen Politiken der EU.
Innerhalb der Umweltpolitik wird Nachhaltigkeit als eine „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen (auch) der künftigen Generationen dienende langfristige Sicherung ökologischer Ressourcen durch vorausschauende Planung, Pflege und Bewirtschaftung“ (Kahll in Streinz, 2018, Art. 11 AEUV, Rn. 22) verstanden.
Ende 2019 hat die neue Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen ihren Green Deal präsentiert, der als eine Reaktion darauf gesehen werden kann, welche starke Bedeutung Klimaschutz für die europäische Bevölkerung erlangt hat. Derzeit hört man davon zwar weniger, die Arbeiten daran gehen jedoch weiter. Was bleibt von Nachhaltigkeit und dem Green Deal nach Corona? Er wird, wie von der EU kürzlich betont, nicht verschwinden, wie viel davon jedoch umgesetzt wird hängt nicht nur von der Europäischen Kommission alleine ab, sondern ganz wesentlich von den Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission (das was oft gerne unter dem Begriff „Brüssel“ bezeichnet wird) kann nur die Vorschläge machen, annehmen müssen sie das Europäische Parlament und der Ministerrat, der die Interessen der Mitgliedstaaten vertritt. So wie sich Europa keine unvernünftige Vorgehensweise bei übertragbaren Krankheiten leisten kann, kann sich Europa (hoffentlich) keine unvernünftige Vorgehensweise beim Thema Klimawandel leisten.
2. Was bleibt von der EU nach Corona übrig?
Die EU (bzw. die Vorgängerorganisation) wurde nach einer der größten Krisen (dem 2. Weltkrieg) gegründet und die meisten Weiterentwicklungen benötigten eine veritable Krise. Es benötigte beispielswiese BSE („Rinderwahnsinn“) und HIV/AIDS, damit die Mitgliedstaaten 1992 im Vertrag von Maastricht bereit waren, der EU einzelne Kompetenzen im Gesundheitsbereich zu übertragen. Wie man es von den Filmen „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ kennt, wird Macht nur ungern geteilt und nur wenn sich die Mitgliedstaaten eingestehen mussten, dass sie eine bestimmte Herausforderung alleine nicht (oder nicht ausreichend) bewältigen können waren sie bereit, Macht (sprich die Kompetenz, einen bestimmten Bereich rechtlich zu regeln) auf die EU zu übertragen. Einziges Problem: um bspw. der EU bestimmte Kompetenzen im Gesundheitsbereich zu übertragen, müssen immer alle (derzeit 27) Mitgliedstaaten zustimmen; oft eine „mission impossible“.
Wird die EU nach Corona zerbrechen? Auch wenn Medien gerne solche Szenarien durchspielen ist es nicht sehr wahrscheinlich. Wenn man in Alternativen denkt (was wäre, wenn es die EU von einer Sekunde auf die andere nicht mehr gäbe), so bleiben die Probleme dieselben, und keine der letzten Krisen (Wirtschaft, Migration, Klimawandel, Corona) kann auch nur ansatzweise von einem Staat alleine bewältigt werden. Koordination wird immer notwendig sein, am besten in einem funktionierenden und vorgefertigten Rahmen (auch EU genannt). Auch wenn die EU in manchen dieser Krisen nicht geglänzt hat, so wird sie daran nicht zerbrechen. Was übrigens nicht ganz genau stimmt: Es sind die Mitgliedstaaten die sich (bspw. in der Migrationskrise) nicht einigen konnten, die mangelnde Konsensfähigkeit hat man aber dann (sehr praktisch) der EU in die Schuhe geschoben.
3. Wird der von Corona bekannte „jedes Land für sich“ Ansatz auch künftig für den Klimawandel Vorbild sein?
Als ich während der Ebola Krise (ca. 2016) mit einem amerikanischen Kollegen einen Beitrag zu übertragbaren Krankheiten in der EU geschrieben habe, wunderte ich mich, warum mehrere Staaten komplett unterschiedliche Ansätze zur Bekämpfung dieser Krise gewählt hatten. Die Antwort ist relativ einfach und hat mit den rechtlichen Grundlagen zu tun: in diesem Bereich der Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten kann die EU nur koordinieren und unterstützen, aber nicht für alle Staaten eine einzige und verbindliche Vorgehensweise vorgeben. Auf freiwilliger Basis waren die Mitgliedstaaten offenkundig nicht bereit, sich hier in sinnvoller Weise abzustimmen. Welchen Sinn macht es jedoch, wenn infizierte Personen nicht über den Flughafen in Land A einreisen können, aber problemlos über Land B?
Die vorstehend erwähnte Übertragung von Kompetenzen aufgrund der damaligen BSE bzw. HIV/AIDS Krise hat sich jedoch in Grenzen gehalten, sprich die EU ist in diesem Bereich nur sehr eingeschränkt zuständig und kann koordinieren und Ratschläge geben, viel mehr aber nicht. Daher agieren derzeit die EU Mitgliedstaaten nicht einheitlich. Die EU dafür zu kritisieren wäre jedoch verfehlt, wenn sie dafür gar nicht zuständig ist. Immerhin hat sich herausgestellt, dass diejenigen Länder die führzeitig das „Vorsorgeprinzip“ (ursprünglich im Umweltbereich entwickelt, gilt nun aber auch im Gesundheitsbereich, etc.) angewandt haben, besser durch die Krise gekommen sind.
Auch eine mangelnde Solidarität zwischen den EU Mitgliedstaaten ist bemängelt worden, zum Teil zurecht. Solidarität ist nicht nur ein Prinzip, sondern einer der gemeinsamen Werte der EU (Art. 2 EUV). Während in der Anfangsphase zurecht Ausfuhrbeschränkungen von notwendigen Materialien kritisiert worden sind, gibt es mittlerweile einige Beispiele von Solidarität, die jedoch sicher noch ausbaufähig sind.
Andrea Renda hat kürzlich in seinem Beitrag im European Journal of Risk Regulation geschrieben: „as John F. Kennedy once famously said, the time to fix the roof is when the sun is shining”. Dies gilt nicht nur für die Frage ob Maßnahmen zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten nicht viel mehr an Koordination auf europäischer Ebene benötigen („It is essential that, once COVID-19 gradually disappears, the lessons learned from these months of lockdown become the foundations of a new approach to risk governance at the EU and global level”), sondern betrifft darüber hinaus mehrere Erkenntnisse, die nach der Krise entsprechend umzusetzen sein werden.
Wie Roland Psenner vor kurzem in einem Beitrag für „Wissenschaft & Verantwortlichkeit (WUV) geschrieben hat, brauchen wir derzeit weniger „Resilienz“, d.h. Fähigkeit zur Rückkehr zum Ausgangszustand, da dieser in vielen Bereichen (Umweltbelastung, soziale Ungleichheit, etc.) nicht wünschenswert ist. Vielmehr benötigen wir „Resistenz“, d.h. Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Krisen.
Es bleibt zu hoffen, dass aus der jetzigen Krise die notwendigen Schlüsse gezogen werden. Da man sich ein Versagen in einer ähnlichen Krise schlicht nicht leisten wird können, bin ich optimistisch was diesen Lerneffekt betrifft.
Es bleibt auch zu hoffen, dass dort vermehrt gemeinsames Handeln auf EU Ebene erfolgen wird, wo es Sinn macht. Ebenso wird hoffentlich der in der Vergangenheit bereits schrittweise gestärkte Gedanke der Nachhaltigkeit noch stärker verankert und umgesetzt. Dies gilt sowohl für übertragbare Krankheiten, als auch für die Klimakrise.
Im Rahmen des von der EU eingerichteten und nach dem Gründungsvater (derjenige mit der Idee der Friedenssicherung nach dem 2. Weltkrieg) benannten Jean Monnet Lehrstuhl befasse ich mich aktuell mit den Werten der EU (Art. 2 EUV, etc.). Anfang Jänner bin ich in der Vorbereitung für einen Vortrag über einen Interessanten Beitrag von Robert Renzler im Magazin des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) gestoßen. Darin hat er einige der vorstehend erwähnten Werte der EU auf den Kontext des Bergsteigens übertragen (Gleichheit im Sinne von per-Du, Solidarität in einer Seilschaft, etc.) und gleichzeitig betreffend neue Werte zu Recht die Frage gestellt, „ob angesichts der globalen ökologischen Bedrohungsszenarien nicht Werte zu formulieren wären, die eine neue Einfachheit und eine Verzichtsethik als Zeitgeist formen“ (Heft 1/2020, S. 3). Wer hätte damals gedacht, wie sehr er damit die aktuelle Situation beschrieben hat. Auch die sieben von POW definierten Werte (reise verantwortungsvoll | ernähre dich bewusst | gib dein Geld bewusst aus | lebe einfacher | mach dich schlau | nutze deine Stimme | engagiere dich) sind für die aktuelle Situation eine mindestens genauso Wert-volle Leitschnur.
Markus Frischhut, passionierter Snowboarder und Skifahrer, sowie Jean-Monnet-Professor für EU Recht, Ethik und Werte. Danke an Moritz Nachtschatt für die drei Fragen.