POW-Award: Die Auswirkungen des Rückganges der Gletscher in den Stubaier Alpen und die touristische Nutzung

Der drastische Rückgang der Gletscher hat nicht nur Auswirkungen auf die Natur, sondern auch auf die touristische Nutzung, die im Stubaital eine wichtige Rolle spielt. Lukas Leitgeb hat sich im Rahmen seiner vorwissenschaftlichen Arbeit mit den Folgen für den Gletschertourismus und möglichen Schutzmaßnahmen beschäftigt und damit den 2. Platz beim “POW-Award” erreicht.

Wie entsteht ein Gletscher?

Die Gletscher, wie wir sie heute kennen, sind vor über 10.000 Jahren in der letzten großen Eiszeit entstanden. Seit dieser großen Eiszeit, kam es immer wieder zu kleineren Eiszeiten. Die kalten Temperaturen und die große Menge an Niederschlag trugen in den Eiszeiten dazu bei, dass sehr viel Schnee im Nährgebiet, auch Akkumulationszone genannt, liegen blieb. Den Schnee, der über die Winterzeit fällt und den Sommer übersteht, nennt man Firn (Dichte von 200-400 kg/m³). Dieser Firn wird durch den enormen Druck, der durch den neuen Schnee entsteht, verdichtet. Dadurch nimmt der Luftanteil im Eis immer weiter ab. Durch Temperaturveränderungen im Gletscher kommt es zu Auftau- und Gefrierprozessen, welche dazu beitragen, dass in wenigen Jahrzehnten kompaktes Gletschereis mit einer Dichte von 800-900 kg/m³ entstehen kann. Diesen Prozess nennt man Metamorphose. Das Zehrgebiet, auch Ablationszone genannt, liegt unter der Gleichgewichtslinie. Dort verlieren die Gletscher durch Schmelzen und Abbrechen an Masse. (vgl. Bragin/Spiegel, 2020)

Bei jedem Vorstoß eines Gletschers wird viel Gestein in Richtung Tal transportiert und aufgeschoben. Dies sind die sogenannten Moränenwälle, welche nach dem Abschmelzen des Gletschers an Ort und Stelle bleiben. Es gibt nicht nur die Seitenmoränen, sondern auch die Mittelmoränen. Durch den Fließfluss des Gletschers entstehen an den Stellen, wo er über eine Kuppe muss, die Querspalten. Die Längsspalten entstehen, wenn der Gletscher auf einer Seite abfällt. Am Ende der Gletscherzunge gibt es das sogenannte Gletschertor, wo das Schmelzwasser herausfließt, oft bilden sich dort auch neue Gletscherseen. (vgl. Fischer, 2018)

Merkmale des Gletschers. Aufnahme des Sulzenauferners aus dem Jahr 2018. © Lukas Leitgeb

Die Gleichgewichtslinie (1) trennt die Akkumulationszone (2) von der Ablationszone (3). Außerdem sind die verschiedenen Moränenarten gut zu erkennen: Im Bild befindet sich eine Mittelmoräne (6), im Gegensatz dazu eine Seitenmoräne (7), weiters ist eine Grundmoräne (8) zu sehen. Die Gletscherzunge (4) endet im neu entstandenen Gletschersee (5). Das sonst bekannte Gletschertor, aus dem das Schmelzwasser herausfließt, kann man bei diesem Gletscher nicht erkennen, weil er über eine sehr steile Felskuppe abfällt und sich nicht in ein Tal hinauszieht.

Der Rückgang der Stubaier Gletscher und die Folgen

Ein wichtiger Faktor für den Rückgang der Gletscher ist die Farbe der Oberfläche. Wenn die

Gletscheroberfläche dunkel ist, nimmt das Eis die Energie der Sonne viel leichter auf und erwärmt sich dadurch schneller. Daraus ergibt sich auch ein viel größerer Massenverlust. Ist jedoch der Gletscher mit weißem Schnee bedeckt, werden die Sonnenstrahlen reflektiert und das Eis schmilzt langsamer. Dieses Phänomen wird als Albedo-Effekt bezeichnet. (Vgl. Seiser, 2010) Weitere Gründe für den Rückgang der Gletscher sind die Exposition sowie die Lufttemperatur.

Rückgang des Sulzauferners (Abb. 5 DAV-Archiv, Abb. 6 + 7 © Lukas Leitgeb).

Der Sulzenauferner verlor von 1988 bis 2011 429,4 m an Länge. Das entspricht einem Durchschnitt von 18,7 m pro Jahr. Mit 104,4 m wurde der bisher größte Längenrückgang im Jahre 1995 verzeichnet. (vgl. Beer, 2011/12) Häufige Auswirkungen des Rückganges in der nahen Umgebung der Gletscher sind die Gletscherseen, die neu entstehen, das Auftauen von Permafrost sowie ein veränderter Wasserhaushalt im Gebirge.

Gletscher stellen die größten Süßwasserspeicher dar. Durch die steigenden Temperaturen verändern sich die Gebirgsbäche und ihr Umfeld. Auch in den unteren Verläufen der Bäche, Flüsse und Ströme wird es zu Veränderung kommen. Diese werden bei langen Trockenperioden in den Sommermonaten fast komplett austrocknen, wenn die Gletscher nicht mehr vorhanden sind. Bekannte Alpenflüsse, wie die Donau, der Rhein und der Po versorgen Millionen von Menschen mit Trinkwasser. Besonders bedeutend ist diese Thematik für die Landwirtschaft, weil das Schmelzwasser in den Sommermonaten für die Bewässerung der Felder benötigt wird. (vgl. Wasserhaushalt powdergiude, 09.12.2019) Zudem hat das Schmelzwasser in Österreich eine hohe Bedeutung für die Energiewirtschaft bei der Betreibung von Speicherkraftwerken. (vgl. DerStandard, 14.11.2019, o.V.)

Eine weitere Auswirkung ist die Höhenverschiebung der Permafrostgrenze. Diese steigt durch die Klimaerwärmung in höher gelegene Gebiete. Der Permafrost wird auch “Kleber der Alpen” genannt, weil er steile Felshänge und Schutthänge zusammenhält. Taut dieser aber durch den Klimawandel auf, führt dies zu einer höheren Gefahr von Steinschlag und zur Destabilisierung der Alpen. (vgl. Alpenverein, Permafrost)

Auswirkungen Natur und  Tourismus

Der Rückgang der Gletscher hat gravierende Folgen für die touristische Nutzung. Im Winter braucht es große Investitionen, um das Schifahren weiterhin zu ermöglichen. Für die Gletscherschigebiete sind die Herbst- und Frühlingssaison die Haupteinnahmequellen. Durch den Gletscherrückgang wird es immer schwieriger, die Saison schon im Frühherbst zu starten. Um dies dennoch zu ermöglichen, braucht es modernste Beschneiungsanlagen und Unmengen an Wasser. Daher wird seit 2022 ein riesiger Speichersee mit einem Fassungsvolumen von 308.000 m³ am Stubaier Gletscher errichtet und mit Abdeckfolien im Sommer versucht, das Abschmelzen zu verlangsamen. 

Nicht nur das Abschmelzen der Gletscher bereitet dem Betreiber große Sorgen, sondern auch das Auftauen des Permafrostes. 2010 wurde dieses Phänomen der Schaufeljochbahn zum Verhängnis. Unter der Schaufeljochbahn kam es zu einem Felssturz. Dadurch war die Sicherheit der Fundamente nicht mehr gewährleistet und die Stützen mussten versetzt werden (Vgl. tirol.ORF.at, 15.07.2010). Nicht nur nach Felsstürzen, sondern auch aufgrund der Fließgeschwindigkeit der Gletscher müssen Stützen neu positioniert oder ausgerichtet werden. 

Maßnahmen für die Zukunft des Gletschertourismus

Die wohl bekannteste Methode zur künstlichen Schneeerzeugung sind Schneekanonen. Diese Methode  wurde zufällig 1940 durch einen Amerikaner entdeckt. Dieser testete in einem Windkanal bei niedrigen Temperaturen, wie sich ein Triebwerk mit Wasser verhält. Durch diesen Versuch produzierte er Schnee. Diese Methode wird seither für die Schneeerzeugung auf den Pisten verwendet. Um den perfekten Schnee zu erzeugen, braucht es nicht nur Wasser, sondern auch die passenden Geräte und genügend Energie. Außerdem spielen die Lufttemperatur, die Wassertemperatur und die Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle. Je kälter und trockener es ist, desto besser funktioniert die Schneeerzeugung. Um die benötigten Wassermengen zur Verfügung zu stellen, setzen die meisten Betreiber von Schigebieten auf Wasserspeicher, beziehungsweise auf Stauseen. Um den technischen Schnee zu erzeugen, gibt es mehrere Methoden wie die Schneekanone, die Schneelanze und die künstliche Schneewolke. (Vgl. Snowtrex, Wie wird Kunstschnee gemacht)

Allein in Tirol werden 5400 ha Piste beschneit. Dafür werden 16 Millionen m³ Wasser und 90 Gigawattstunden Strom benötigt. Mit diesem Wasserverbrauch könnte man die vier größten Gemeinden in Tirol das ganze Jahr lang versorgen. Berechnet man die Stromkosten, die dabei entstehen, kommt man auf 120 bis 160 Millionen Euro. Nicht nur der Strom muss bezahlt werden, sondern auch der Bau, bis die Anlage steht. Für eine Beschneiungsanlage braucht man nicht nur Wasser, sondern noch vieles mehr, wie Speicherseen, Rohrleitungen, Stromleitungen, Pumpstationen, Technikräume sowie Schneekanonen und Lanzen.

Der Kunstschnee hilft den Betreibern der Schigebiete, schadet jedoch der Flora und Fauna. Im Kunstschnee wird viel weniger Luft zwischen den Schneekristallen gespeichert als im natürlichen Schnee. Daher funktioniert das Prinzip der Wärmeisolation bei technischem Schnee nicht so hervorragend wie bei Naturschnee. Aufgrund dessen gefriert der Boden viel tiefer und die Pflanzen können nicht mehr so leicht überleben, weil sie zu wenig Sauerstoff erhalten. (Vgl. ORF. Science, 29.01.2015)

Eine andere Methode ist das „Snowfarming“, darunter wird das Konservieren des Schnees vom letzten Jahr für die folgende Saison verstanden. Dabei wird der alte Schnee zu Schneedepots zusammengeschoben und verdichtet, um so viel Schnee wie möglich über den Sommer hinweg zu erhalten. In den Tälern oder in Schigebieten ohne Gletscher wird der Schnee zu Haufen zusammengeschoben, verdichtet und zuerst mit Hartschaumplatten abgedeckt. Danach kommt eine Folie, die den Schnee vor Regen schützen soll. Als letzte Schicht wird das gleiche Vlies wie beim Gletscherschutz verwendet. Dieses schützt den Schnee vor der Sonne und den UV-Strahlen. (Vgl. Christian, Snowfarming, 2016).

Ähnlich funktioniert das Konservieren mit den sogenannten Abdeckplanen. Mit diesen werden viele systemrelevante Bereiche abgedeckt, beziehungsweise vor dem Abschmelzen geschützt. Dabei werden Liftstützen, Verbindungswege oder Bereiche vor Restaurants oder Liftanlagen abgedeckt, um sie im nächsten Jahr auch noch nutzen zu können. Am Stubaier Gletscher wird das Prinzip des Abdeckens seit den Anfangsjahren dieses Jahrtausends erforscht. Zusammen mit der Universität Innsbruck wird die bestmögliche Methode für den Gletscherschutz entwickelt. Dabei setzte sich ein Vlies durch, das aus Geotextilien besteht, wetterfest und reißfest ist. Das zwei Millimeter dicke Material wird im Frühjahr auf die betroffenen Flächen ausgerollt. Die Vliese haben auch Auswirkungen auf den Nahbereich. Durch das Schmelzen lösen sich auch ganz feine Fasern aus dem Material und werden durch das Schmelzwasser in Richtung Tal transportiert. Dadurch kommt Mikroplastik in den Wasserkreislauf. (Vgl. Lässing, 31.03.2021)

Egal wo man hinschaut, die Gletscher werden sich in der Zukunft immer weiter in höher gelegene Bereiche zurückziehen. Dieser Trend wird von den Glaziologen auch bestätigt. Der Gletschertourismus, aber auch die nahe Umgebung der Gletscher leiden besonders unter dem Rückgang. Der Permafrostboden taut auf, wovon wichtige Infrastrukturbereiche wie Schutzhütten, Straßen, Skipisten und Seilbahnanlagen betroffen sind. Besonders die Gletscherskigebiete haben mit dem Rückgang zu kämpfen.  Für die Gletscherskigebiete sind die Abdeckplanen aus Vlies eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen, um den Schmelzprozess zu verlangsamen. 

Author: Lukas Leitgeb (Ed.: Sophie Hofbauer)