Österreichs Jahrhundertwinter seit 1768
Im Rahmen meiner vorwissenschaftlichen Arbeit „Ausreißer nach oben und unten“ beschäftigte ich mich mit den wärmsten und kältesten Wintermonaten in Österreich, welche in den letzten 250 Jahren gemessen wurden.
Fragestellungen
Folgende zentrale Fragen erhoffte ich mit der Arbeit beantworten zu können:
Wann erlebte Österreich seine Jahrhundertwinter und wie verliefen sie?
- Was waren die wärmsten und kältesten Wintermonate in Österreich seit Beginn der Aufzeichnungen?
Die größten Ausreißer dieser Monate werden dann genauer auf folgende Fragen untersucht:
- Welche Großwetterlagen verursachten die abnormalen Abweichungen?
- Was waren die Minimum- bzw. Maximum-Temperaturen?
- Welche Konsequenzen hatten die Anomalien für die Bevölkerung?
- Kann man bei den extrem kalten/warmen Wintermonaten mögliche Gemeinsamkeiten bzw. Anzeichen in den vorangegangenen Monaten feststellen?
Kann man eine Tendenz der Ausreißer erkennen?
- Gibt es positive Temperaturrekorde von früher, die noch höher waren, als es die extrem warmen Ausreißer in letzter Zeit gewesen sind?
- Haben die Ausreißer nach oben und unten seit dem Messbeginn zugenommen?
Wo und ab wann gab es die ersten regelmäßigen Messungen?
Das Eingangskapitel widmete sich kurz der Geschichte der Meteorologie. Dies hatte den Zweck darüber aufzuklären wo und ab wann in Mitteleuropa mit den ersten regelmäßigen Aufzeichnungen begonnen wurde. Zudem ist ein Bewusstsein über das Alter der verwendeten Daten nur möglich, wenn man sich kurz mit der Geschichte dieser Wissenschaft in den gröbsten Zügen beschäftigt. Hat man sich einen Überblick über die damalige Zeit verschafft, können auch die damaligen Berichte der Bevölkerung besser verstanden und gedeutet werden.
Datengrundlage
HISTALP-Daten
Die sogenannten HISTALP-Daten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bildeten die Basis für diese Arbeit. Es handelt sich dabei um die ältesten Wetterdaten im Mitteleuropäischen Raum. In erster Linie wurden für die Arbeit die Daten der Stationen Kremsmünster, Wien, Innsbruck und Klagenfurt verwendet. An diesen Standorten reichen die Messreihen am längsten zurück und wie Abbildung 1 deutlich zeigt, decken diese Stationen zugleich den Norden, Osten, Westen und Süden Österreichs ab.
Vor dem 18. Jahrhundert sind leider nur wenige bis gar keine Daten von den anderen Parametern (z.B. vom Niederschlag oder Luftdruck) in Österreich verfügbar. Die Daten von sogenannten Kontrollstationen dienten für eine genauere Analyse bei solch alten Extremen, wo zu wenige Informationen aus Österreich verfügbar sind. Für den Süden bzw. Südwesten verwendete ich die Stationen Udine, Padova, Bologna und Mailand, für den Norden bzw. auch Nordosten Augsburg, Regensburg, Hohenpeißenberg, Brünn und für den Osten zusätzlich noch Budapest.
Österreichische Nationalbibliothek und deutsche Wetterzentrale
Es ist wichtig zu erwähnen, dass es sich bei den HISTALP-Daten in erster Linie um Monatsmittelwerte und nicht um einzelne Tageswerte handelt. Letztere sind aufgrund großer Datenverluste im Zweiten Weltkrieg erst ab dem Jahr 1948 verfügbar. Einschlägige Zeitungsmeldungen im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ONB) stützten daher die Daten und wurden für eine genauere Analyse herangezogen. Mit dem Archiv der deutschen Wetterzentrale konnten zudem die Ursachen für die Ausreißer analysiert werden. In diesem Archiv ist die europäische Großwetterlage für jeden einzelnen Tag bis ins Jahr 1836 abrufbar.
Ergebnisse
Geschichte der Meteorologie und HISTALP-Daten
Im Eingangskapitel wurde ich überrascht, welch steinigen Weg die Pioniere dieser Naturwissenschaft zurückzulegen hatten. Für uns mag eine Wettervorhersage selbstverständlich sein, doch fast alle Generationen vor uns konnten davon nicht einmal träumen. Umso bemerkenswerter ist es, dass bis ins 18. Jahrhundert zurück ausgezeichnete Daten erhalten geblieben sind und Österreich auf eine so lange Messperiode zurückblicken kann. Erst dadurch wird es möglich, sowohl das Wetter als auch das Klima von heute und morgen einzuordnen.
Insgesamt rechnete ich rund 125.000 Daten um. Von diesen flossen mehr als 23.000 direkt in die Arbeit ein. Folgende Erkenntnisse konnte ich schlussendlich aus diesen Daten gewinnen:
Österreichs Jahrhundertwinter:
- Österreichs „Jahrhundertwinter“ seit Messbeginn konnten eindeutig ausfindig gemacht werden. Interessant ist, dass bei den warmen Wintermonaten, im Vergleich zu den kalten Wintermonaten, kaum große Ausreißer dabei sind, die sofort ins Auge gefallen waren. Anstatt weniger, extrem warmer Wintermonate, gibt es mehrere, welche auf einem sehr hohen Temperaturniveau sind. Von den Ausreißern nach oben müssen Folgende hervorgehoben werden:
- DEZ 1934 (mit einer Abweichung von +4,98°C im Durchschnitt, gemessen an meinen vier Stationen [KRE, WIE, INN, KLA] gegenüber meinem langjährigen, durchschnittlichen DEZ-Mittel von diesen Stationen);
DEZ 1825 (+4,53°C) - JAN 2007 (+6,17°C); JAN 1796 (+5,82°C)
- FEB 1966 (+5,06°C); FEB 2002 (+4,96°C); FEB 2016 (+4,96°C);
- DEZ 1934 (mit einer Abweichung von +4,98°C im Durchschnitt, gemessen an meinen vier Stationen [KRE, WIE, INN, KLA] gegenüber meinem langjährigen, durchschnittlichen DEZ-Mittel von diesen Stationen);
Abbildung 2 zeigt nicht die Abweichungen, sondern die absoluten durchschnittlichen Monatsmittelwerte aller vier Stationen in absteigender Reihenfolge im DEZ, JAN und FEB.
Welche Abweichungen die größten Ausreißer nach unten hatten, ist für mich und für meine Generation kaum vorstellbar:
- DEZ 1879 (-9,35°C); DEZ 1788 (-9,06°C)
- JAN 1830 (-6,88°C); JAN 1779 (-6,82°C); JAN 1942 (-6,31°C)
- FEB 1929 (-9,92°C); 1956 (-9,24°C)
In Abbildung 3 sieht man die absoluten durchschnittlichen Monatsmittelwerte aller vier Stationen aufsteigend sortiert im DEZ, JAN und FEB. Zum Vergleich: Der absolute durchschnittliche Monatsmittelwert an den ausgewählten vier Stationen für den Winter 2018/19 betrug +1,28°C im Dezember, -0,63°C im bekanntlich „sehr kalten“ Jänner und +3,58°C im Februar.
Großwetterlagen
Windige und turbulente Westdriftwinter waren fast immer der Auslöser für sehr warme Temperaturen. Nur manchmal, wie auch 1825, wurden diese durch eine eingefahrene Südstaulage verursacht. Überraschend fand ich aber, dass die Kälte bei einigen Ausreißern nach unten (wie z.B. 1788 oder 1830) nicht (nur) vom Kontinent kam, sondern oft direkt aus dem nördlichen Atlantik über Skandinavien. Am meisten erstaunt hat mich, welch außerordentliche Kälte eine hartnäckige Inversionswetterlage (wie 1879) hervorrufen kann. Während dort z.B. zu Weihnachten in 1500 Meter Plusgrade gemessen wurden, wie aus der Großwetterlagenkarte in Abbildung 4 hervorgeht, fror man im Tal bei unter minus 20 Grad Celsius.
Minimum- und Maximum-Temperaturen
Interessant war, dass ich bei den Recherchen in den alten Zeitungen auf Minimum-Temperaturen gestoßen bin, die von den offiziellen Rekorden zum Teil deutlich abweichen. Auch hier gäbe es noch viel nachzuforschen. Fakt ist, zwischen dem kältesten (-36,6°C – im Februar 1956 im Waldviertel – Abbildung 5) und dem wärmsten Wert (+24,2°C – im Februar 2019 in Deutschlandsberg oder Güssing) liegen 60,8°C Unterschied.
Berichte aus der Bevölkerung
Die Zeitungsmeldungen zu durchstöbern und zu lesen, hat wohl am meisten Zeit in Anspruch genommen, zugleich hat mich dies aber zutiefst beeindruckt. Bei den kalten Monaten hätte man theoretisch unzählige weitere Schilderungen von gefrorenen Flüssen und Seen, von zersprungen Wasserleitungen, Glasflaschen und Eiern, von abgefroren Körpergliedern oder von der Not der Menschen im Allgemeinen einbauen können. Die Quellenlage bei den warmen Monaten zeigt eindeutig, dass bereits damals warmes Wetter von vielen bevorzugt wurde und weniger darüber geschrieben wurde. Aber auch hier stieß ich auf imposante Erzählungen.
Tendenz der Ausreißer nach oben
- Es erstaunte mich, dass es sehr wohl Ausreißer nach oben gibt, die noch wärmer waren als die ohnehin schon rekordverdächtigten Monate in den letzten Jahrzehnten. Besonders überrascht haben mich hier die Dezember: Wie Abbildung 7 zeigt, wurden die neun wärmsten Dezember alle vor 1980 gemessen. Die meisten der wärmsten Jänner- und Februar-Monaten stammen hingegen aus dem 20. bzw. 21. Jahrhundert, wie in Abbildung 8 und Abbildung 9 zu sehen ist. Ähnlich warme bzw. sogar wärmere Ausreißer hat es aber auch hier schon in früheren Jahren gegeben.
Tendenz der Ausreißer nach unten: Kalte Winter gibt es de facto nicht mehr
- Im Gegensatz zu den warmen Extremen haben die kalten in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Auch hier gibt es aber wieder Unterschiede zwischen den einzelnen Monaten: Waren es im Dezember bis zum Jahr 1900 noch acht Ausreißer mit Abweichungen von mindestens -5°C, gab es seit dieser Jahrhundertwende keinen einzigen, der diese Marke erreicht hat. Bei den Jännern und Febern setzte sich dieser Trend erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts klar durch.
Kalte Wintermonate im Vergleich zu früher gibt es de facto nicht mehr! Wenn man sich übrigens die Polynome Trendlinie in Abbildung 10 anschaut, erkennt man, dass die Winter seit Beginn der Industrialisierung um 1850 schon um mehr als 3°C wärmer geworden sind.
Moritz Thomaser (BG Tamsweg) erreichte mit seiner VWA beim POW Award 2021 den ersten Platz – herzlichen Glückwunsch!
Headerbild: (c) Lorenz Gundolf – POW AT