Klimaschutz vs. Wirtschaftsinteressen – ein Narrativ am Ende?

Wenn wir nach einer einfachen Antwort suchen würden, warum ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen weltweit immer noch schleppend vorankommen und warum klare Lösungen und deren Umsetzung noch immer verzögert werden, obwohl die Folgen und Szenarien der Erderwärmung mittlerweile vielen Entscheidungsträgern bekannt sein müssten, würden die meisten von uns wohl antworten: globale Wirtschaftsinteressen.

Das Narrativ, Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen stünden sich, als Teil eines mühsamen Ringens zwischen zwei Fronten gegenüber, hat sich leider über viele Jahre etabliert und in vielen Köpfen festgesetzt. Als Teil von ideologischen Auseinandersetzungen werden deshalb oft von gewissen politischen Parteien oder Interessensvertretungen der Industrie selbst schwache Klimaschutzmaßnahmen aus Prinzip abgelehnt oder torpediert. 

Als Stimme der Outdoorsportcommunity ist es die Aufgabe von POW, Unternehmen zu zeigen, wie essentiell eine Transformation hin zu mehr Klimaschutz auch aus wirtschaftlicher Sicht ist. (c) Atomic

Entsprechende Fernsehdiskussionen erinnern mit überspitzter Verbohrtheit gewisser Akteur:innen manchmal gar an Ausschnitte der Hollywood-Filmsatire „Don’t Look Up“. Gleichzeitig trägt nichts mehr zur allgemeinen Desillusionierung bei, als das Gefühl, dass Wirtschaftswachstum im Zweifel über die Lebensqualität und den Schutz künftiger Generationen gestellt wird und dass Bemühungen um eine nachhaltige Lebensweise zu wenig Dynamik entfalten, solange wirtschaftliche Interessen von der Politik per se in den Vordergrund gestellt werden.

Vertreten Interessensvertretungen wirklich die Interessen der Unternehmen?

Dass immer mehr Unternehmen Schritte in Richtung Klimaneutralität gehen und den Ausstieg aus „fossilen Energieträgern“ fordern, dass selbst viele Unternehmer:innen sich von einer „Economy First“-Politik ihrer Interessenvertreter gar nicht mehr vertreten fühlen, oder dass selbst die größten Beratungsunternehmen der Welt mittlerweile in der so genannten „Green Economy“ einen der größten Wachstumsmärkte überhaupt sehen, wird bei dieser Sichtweise oft genug ausgeklammert.

„Für kurze Wege & faire Produktion“ – Otto Leodolter CEO von Löffler Sportswear sprach sich beim POW Almauftrieb 2024 für mehr verpflichtende Klimaschutzmaßnahmen in der Industrie aus. (c) Luca Jänichen

Doch eine vor einiger Zeit veröffentlichte Studie bringt das alte Narrativ nochmal gehörig ins Wanken. Die vom internationalen Versicherer Swiss Re veröffentlichte Studie zeigt einen Ausblick für die Wirtschaft in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten, wie er selten diskutiert wird. Die Zahlen zeigen, dass der Klimawandel nicht nur eine unmittelbare Bedrohung für Lebensqualität und natürliche Ressourcen darstellt, sondern tatsächlich für unser Wirtschaftssystem selbst.

Und es sind genau jene Kennzahlen, zugunsten derer im Allgemeinen eine Einschränkung ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen argumentiert wird: die globale Wirtschaftsleistung.

Mehr als 2 Grad bedeuten minus 10 Prozent

Die Zahlen, die die umfangreiche Studie offenlegt, sind drastisch und weitreichend. Laut der Studie könnte die globale Ökonomie bis Mitte des Jahrhunderts fast 10% ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistung verlieren, wenn der Klimawandel auf dem derzeit erwarteten Kurs bleibt und die Ziele des Pariser Abkommens sowie die Netto-Null-Emissionsziele für 2050 nicht erreicht werden.

Alleine in den führenden Industrienationen der G7 Staaten wird bei einer Überschreitung der 2°C Obergrenze von 0,6° ab 2050 ein jährlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung von durchschnittlich 8,5 % prognostiziert. Am stärksten betroffen wären südliche Länder wie Italien mit 11%, deren landwirtschaftliche Flächen laut einer weiteren Studie der European Environmental Agency in hohem Maße vom Klimawandel bedroht wären.

Um die Dimension des Ausmaßes zu erfassen, dienen als Vergleich die Zahlen für die globale Finanzkrise 2008-2010. Damals schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der ökonomisch entwickelten Staaten nach Angaben des IWF im Jahr 2009 um 3,4 Prozent %.

Auch die Wirtschaft profitiert von Klimaschutz

Es ist mehr als erstaunlich, dass diese drastischen Zahlen von Wirtschaftsexperten und der Politik noch nicht aufgegriffen und mehrheitlich diskutiert werden. Ziehen Sie ja einen allgemeinen Zusammenhang, der die gängige Diskussion völlig verändern würde. Die jüngste Ankündigung führender Unternehmen wie IKEA, Volvo, Vodafone, BAYER uvm. die den völligen Ausstieg aus fossilen Energieträgern fordern, lassen Anbetracht dieser Zahlen die Diskussion in völlig neuem Licht erscheinen.

Denis Dietrich vom Skihersteller Atomic sagte beim POW Almgespräch der Wirtschaft: „Wir können und wollen nicht auf die Politik warten, und auch nicht auf die Konsumenten. Es braucht jetzt eine Transformation hin zu mehr Klimaschutz.“ (c) Luca Jänichen

Doch neben einer raschen Verbreitung dieser Daten, müssten ideologische Grabenkämpfe schnellstens beendet werden, Klimaschützer als Verbündete wahrgenommen werden und erkannt werden, dass Interessen Hand in Hand gehen, dass der Anspruch die Lebensqualität auf unserem Planeten zu sichern mit der Sicherung unserer Wirtschaftsgrundlage einhergeht. Es ist daher wahrlich an der Zeit, nicht nur sämtliche Wirtschaftsbereiche in Richtung Klimaneutralität zu transformieren, sondern allen voran das Narrativ selbst.

Im mittlerweile berühmten Marshmallow Experiment der Stanford Universität wurde gezeigt, dass Kinder und junge Menschen, die der Versuchung der kurzfristigen Belohnung widerstehen, langfristig erfolgreicher sind im Leben. Lange Zeit hingegen galt scheinbar als gängiges Narrativ unseres Wirtschaftens das genaue Gegenteil: „Nimm so viele Marshmallows wie du kriegen kannst, denn in Zukunft wird es ohnehin mehr davon geben“.

Doch dies könnte sich als großer Fehler herausstellen. Während viele Industrievertreter nach wie vor davon ausgehen, dass problemlos mehrere Jahrzehnte so weiter gewirtschaftet werden könne wie bisher, müsse auch der Zeithorizont nun in den Mittelpunkt gerückt werden, denn das Zeitfenster, um entsprechend zu reagieren, schließt sich. Bereits bis 2030 müssen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 43% reduziert werden, um den angestrebten Pfad zu erreichen.

Es reicht daher längst nicht mehr nur die neuesten Markt- und Technologietrends zu verfolgen, sondern es wird entscheidend für sämtliche Akteure sein, vor allem auch jene Veränderungen genau zu betrachten, die irreparabel und umfassend sind. Es ist nun an der Zeit, neue Narrative zu entwickeln und zu stärken, die Wirtschaft und Klimaschutz als schlüssige Ergänzung miteinschließen. Gleichzeitig sollten wir uns von alten Narrativen verabschieden, die den Verlust an Lebensqualität auf diesem Planeten und die Grundlage unseres Wirkens bedrohen.

Im Klimaschutz braucht es Vorreiter-Unternehmen, die zu einem Umdenken in der jeweiligen Branche aufrufen. Atomic hat mit dem Ski Industry Summit im September 2023 zumindest im Skisektor den Grundstein dafür gelegt. (c) Atomic

Mehr zu den genannten Studien:

https://www.oxfam.org/en/press-releases/g7-economies-could-lose-85-year-2050-without-more-ambitious-climate-action-oxfam

https://www.swissre.com/institute/research/topics-and-risk-dialogues/climate-and-natural-catastrophe-risk/expertise-publication-economics-of-climate-change.html

Author: Felix Zabel