Mit Bahn & Bus zur Skitour – ein inspirierendes Interview mit Michael Vitzthum
Michael Vitzthum wohnt in München und geht leidenschaftlich gerne Skitouren. Seit 10 Jahren macht er das ganz ohne Auto. Uns hat er erzählt wie es dazu kam, was sich seit dem für ihn verändert hat, und warum es sich lohnt, öffentliche Verkehrsmittel zur Skitour zu nehmen.
Das Interview führten Verena Engel und Nadja Schmid am 11.1.2021 per Telefon:
Du nutzt für die meisten deiner Skitouren die Öffis. Wie ist es dazu gekommen?
Aus Umweltgründen habe ich mein Auto verkauft. Ich wollte schauen, ob aus dem “Verlust” oder der Einschränkung auch etwas Positives wachsen kann. Mein eigener Treiber dafür war der Anspruch, dass ich als passionierter Bergsteiger auch etwas für den Klimaschutz tun und meinen Impact auf die Bergwelt reduzieren will. Natürlich bedeutet das auch bei der Auswahl der Kleidung und des Equipments auf Nachhaltigkeit zu achten, aber Mobilität ist schon der größte Hebel.
Wie hat sich seit dem das Skitourengehen für dich ohne Auto verändert?
Über die Jahre habe ich angefangen darüber nachzudenken, wie man die eigene Situation ohne Auto nicht mehr als Verzicht, sondern als positive Veränderung sehen kann. Die Grundintention war immer eine bestimmte Tour zu gehen. Darauf folgt die Überlegung, wie man das schafft, und wer mitfährt. In den allermeisten Fällen konnten wir unsere Tour wie geplant gehen – im worst case haben wir uns mal ein Taxi für die berühmte “last mile” genommen – das ist immer noch günstiger als ein eigenes Auto. Ich erlebe das Tourengehen so viel bewusster. Wenn man mit Öffis zur Skitour gelangt, hat man ab dem Zeitpunkt, ab dem man die Haustür verlässt das Gefühl, dass die Tour beginnt. Das Losgehen fängt daheim an und die Tour fühlt sich länger an. Insgesamt ist das ein ganz anderes Erlebnis und jedes mal fühlt es sich an als würde man eine kleine Reise machen ohne dafür 2 Wochen in den Urlaub zu fahren. Es ist etwas schwer zu beschreiben – man muss es einfach Ausprobieren.
Was sind für dich die größten Vorteile bei der Nutzung der Öffis gegenüber Skitouren mit dem Auto?
Neben dem Klimaschutz gibt es noch etliche andere Vorteile: Bei Skitouren mit dem Auto waren immer alle genervt vom Heimfahren. Im Zug ist das etwas anderes: da sitzt man sich gegenüber, schaut sich Fotos vom Tag an und trinkt dabei ein Bier. Es entsteht viel mehr Gemeinschaftsgefühl. Auch bei der Hinfahrt kann man die Zeit sinnvoller nutzen – oft haben wir die Tour nochmal genauer geplant. Und, wie bereits erwähnt, wird der ganze Tag viel mehr zu einem besonderen Erlebnis, da die Anfahrt Teil des Abenteuers ist. Dabei lässt man auch mehr Ballast zu Hause: Man nimmt nur das mit, was man wirklich braucht. Dieser Minimalismus und das Abenteuer sind ja auch die Gründe, warum viele Leute in die Berge gehen. Auch die Entscheidung, wann man auf welche Tour geht, fällt viel bewusster. Es muss nicht jede Tour ins ohnehin stressige Leben eingetaktet werden. Die Abendskitour ist fast so normal wie das Joggen nach der Arbeit geworden. Aber ich finde man muss nicht immer alles aus jedem Tag rausholen. Über solche Sachen denkt man viel mehr nach, wenn man sich ein bisschen mehr anstrengen muss, damit man auf Tour kommt. Dazu ist der ganze Skitag wie bereits erwähnt viel mehr ein Erlebnis – eine Reise. Es passieren zum Teil unvorhergesehene Sachen – manchmal muss man eben die Wartezeit auf den nächsten Anschluss im Cafe oder Wirtshaus verbringen. Oft haben wir auch andere Tourengeher im Zug kennengelernt und uns ausgetauscht. Man erlebt diese Dinge, weil man sich nicht im abgeschlossenen privaten Auto befindet, sondern weil man sich von Tür zu Tür im freien Raum bewegt. Noch dazu ist man mit den Öffentlichen tatsächlich viel flexibler, da man ja nicht zum Ausgangspunkt zurück muss.
Wie stehst du zum Thema Car-Sharing?
Mietmodelle sind auf jeden Fall Zukunftsmodelle. Wenn Schnee liegt fällt erst einmal auf, wie selten manche Autos überhaupt bewegt werden. Car-Sharing kann dann helfen, das eigene Auto aufzugeben. Dann fallen auch die hohen laufenden Kosten weg. Car-Sharing ist außerdem leichter aufzubauen als neue Bus- oder Bahnlinien. Daneben ist es aber dennoch wichtig, den Individualverkehr ins Gebirge grundsätzlich zu vermeiden. Schnelle Züge sind super Zubringer zu Tourenstartpunkten. Das wird besonders dann ermöglicht, wenn man vor Ort durch E-Bikes, Car-Sharing, oder ein Rufbussystem mobil ist. Ein Rufbus ist übrigens eine super Sache – quasi ein Taxi zu Bustarifen. Wichtig ist jedenfalls, dass es Mobilitätsketten gibt, und Leute die diese nutzen und ihren Vorteil daraus ziehen.
Wie überredest du deine Tourenpartner dazu, die Öffis anstelle des Autos zu nutzen?
Viele meiner Tourenpartner kommen oft weniger aus Klimaschutz-Gründen, sondern vielmehr aus Neugier mit. Nach der Tour haben sie sich dann gefreut, dass alles gut geklappt, man noch eine Bar im Bahnhof gefunden und neue Leute im Zug kennengelernt hat. Diese Sachen speichert man dann ab und das macht es zu einem positiven Gesamterlebnis. Bisher habe ich auch immer positives Feedback bekommen – niemand im Freundeskreis hat gesagt, das nie wieder zu machen.
Wie wird das Skitourengehen mit Öffentlichem Verkehr von der breiten Masse wahrgenommen?
Ich poste meine Abenteuer regelmäßig in Facebookgruppen, das generiert schon Aufmerksamkeit. Das Mobilitätsverhalten in der Öffentlichkeit anzusprechen ist aber ein bisschen wie eine Gratwanderung. Einerseits haben viele Menschen den Klimaschutz als Anliegen, seit jüngster Zeit auch vermehrt beim Bergsport. Man will aber nicht immer mit dem Zeigefinger daherkommen, sondern die Botschaft eher positiv rüberbringen. Das ist manchmal schwierig, denn die harten Facts sind vor dem Laptop leicht überprüfbar. Die weichen Faktoren hingegen müssen erlebt werden, und die empfinden die Menschen unterschiedlich. Unter meinen Posts diskutieren die Leute dann zum Beispiel über den errechneten CO2-Ausstoß vom schlecht besetzten Zug, oder die Anreisedauer und checken nur die Fakten. Es geht aber hier nicht um die bestmögliche Optimierung des Skitages hinsichtlich der errechneten Effizienz, sondern darum was man abgibt und im Gegenzug dafür bekommt. Die Bahn- und Busnetze, die gewachsen sind haben zudem viel Potenzial, Verkehr zu verlagern und den Druck auf die Alpen zu reduzieren. Es ist die Nachfrage, die eine weitere Verbesserung des Systems erzeugt, und dafür ist die Community zuständig, und auch die Alpenvereine sind gefragt.
Wie bewertest du die Nutzung Öffentlicher Verkehrsmittel für die Freizeit im Zuge der Pandemie?
Natürlich sind durch die Pandemie Herausforderungen der Hygiene und Sicherheit hinzugekommen. Da hat der Öffentliche Verkehr allgemein einen Dämpfer bekommen. In so einer Ausnahmesituation kann man aber die Sinnhaftigkeit vieler Dinge wegdiskutieren. Es wird ja auch wieder Zustände geben, wo keine Pandemie herrscht. Wäre doch schrecklich, wenn dann alle in ihrem geschützten Raum durch die Gegend fahren und es keinen Austausch mehr gibt. Bei den letzten Touren in den Bayerischen Alpen waren wir übrigens fast immer die einzigen im Zug, während die Medien über die chaotische Situation durch zugeparkte Rettungswege und Stau auf den Landstraßen berichteten. Eigentlich wollte ich mal eine Fotostory von den leeren Zügen und Bussen machen. Dazu gibt es viele Menschen, die diese Saison mit dem Skitourengehen anfangen. Die schauen sich von den “Profis” ab wie das geht – hier haben die erfahrenen SkitourengeherInnen eine wichtige Vorbildfunktion.
Wie kann man die Planung angehen und was rätst du allen, die darüber nachdenken, für ihre nächste Skitour Öffis zu nutzen?
Zu Beginn gibt es verschieden Fahrplan-Apps und Outdoor-Apps. Da bekommt man Infos über Haltestellen und Verbindungen. Teilweise kann man die Tickets schon online vergleichen. Der Vergleich zwischen den Fahrpreisen von deutschen und beispielsweise österreichischen Anbietern lohnt sich teilweise. Bei der Planung ist es wichtig, sich nicht auf die letzte Rückfahrmöglichkeit zu verlassen, sondern einen Puffer einzubauen. Die ersten Touren mit Zug und Bahn sollten so geplant sein, dass sie gut klappen und man am besten nicht umsteigen muss. Dann kann man sich langsam rantasten. Für längere oder komplizierte Touren kann es schon mal sein, dass man drei oder vier Tickets braucht. Das ist für viele abschreckend und man muss sich erst mal etwas reinfuchsen. Starten sollte man also wirklich mit leichteren Touren ohne Probleme für die erste und letzte Meile. Dann erlebt man überhaupt einmal das Feeling einer Öffi-Tour, und kann dann für sich bewerten wie man das findet.
Alle Fotos (c) Michael Vitzthum