Naturgefahren und Extremereignisse im Klimawandel

Durch den globalen Klimawandel verändern sich viele Naturgefahrenprozesse. Welche Auswirkungen für alpine Naturgefahren zu erwarten sind und was das für das Auftreten von Extremereignissen heißt, erfährst Du in diesem Artikel.

Extremereignisse

Extremereignisse sind in ihrer Erscheinungsform und in ihren Eigenschaften außergewöhnlich, das heißt, sie unterscheiden sich in dieser Hinsicht zu anderen bekannten Ereignissen. Beispiele dafür sind außergewöhnlich starke Windgeschwindigkeiten oder ungewöhnlich hohe Niederschlagsmengen (Mergili & Glade 2020). Vielfach sind Extremereignisse mit einer geringen Eintretenswahrscheinlichkeit verbunden. Sie treten also in bestimmten Wiederkehrintervallen auf, zum Beispiel als 100-jährliches Hochwasser. Aus der Kenntnis vergangener Ereignisse kann allerdings nicht unbedingt auf zukünftige Ereignisse geschlossen werden. Der Grund dafür ist, dass sich die Rahmenbedingungen, u.a. durch den Klimawandel, grundlegend ändern. Das macht Prognosen für zukünftige Extremereignisse sehr schwierig (Mergili & Glade 2020).

Ein Extremereignis, das in seinen physikalischen Eigenschaften außergewöhnlich ist, ist jedoch nicht mit einer Naturkatastrophe gleichzusetzen; Katastrophen definieren sich nämlich darüber, dass die Betroffenen aufgrund der Außergewöhnlichkeit des Schadensausmaßes auf Hilfe von außen angewiesen sind, weil ihre eigenen Ressourcen für die Bewältigung der Situation nicht ausreichen (Glade 2020; Mergili & Glade 2020; Jachs 2020). Im alltäglichen Sprachgebrauch werden diese Begriffe fälschlicherweise oftmals synonym verwendet (Jachs 2020). 

Auswirkungen des Klimawandels auf Naturgefahrenprozesse

Naturgefahren traten in Österreich sowie im gesamten Alpenraum schon immer auf. Der globale Klimawandel führt dazu, dass sich unterschiedlichen Prozesse verändern. Diese veränderten Prozessketten führen auch dazu, dass Naturgefahrenereignisse (1) häufiger, (2) mit größerer Stärke und (3) an Stellen auftreten, die bisher nicht betroffen waren. Dadurch werden auch die Konsequenzen für die Gesellschaft schwerwiegender. Diese negativen Konsequenzen können sich direkt (z.B. zerstörte Häuser) oder indirekt äußern. Indirekte Auswirkungen sind beispielsweise unterbrochene Infrastruktur (z.B. Zusammenbruch des Transportwesens). In beiden Fällen kommt es zu wirtschaftlichem Schaden. Die Schadensummen, die im Zusammenhang mit Naturgefahren stehen, nehmen in den letzten Jahrzehnten tendenziell zu (Mergili & Glade 2020).

Die einzelnen Arten von Naturgefahrenprozessen wurden bereits in diesem Artikel vorgestellt. Nun werden für jeden Prozesstyp die erwarteten Auswirkungen des Klimawandels nach dem aktuellen Stand der Forschung beschrieben.

Extremtemperaturen und Trockenheit

Die Auswirkungen des Klimawandels auf meteorologische Extremereignisse wie Hitze- und Kälteperioden können durch Klimasimulationen vergleichsweise gut abgeschätzt werden. Während zukünftig vermehrt Hitzeperioden zu erwarten sind, dürften Kälteextrema weniger werden (Mergili & Glade 2020).

Temperaturbezogene Naturgefahren sind im Kontext der Wirkung der Lufttemperatur auf das physiologische Befinden des Menschen zu sehen. Extremtemperaturen stellen sowohl bei extrem niedrigen als auch bei extrem hohen Temperaturen eine unmittelbare Gefahr für den Menschen dar. Statistisch ausgewertet werden in diesem Zusammenhang z.B. Hitzetage, Hitzeperioden oder “Hitzetote”. Die Anzahl letzterer überwiegt bereits jetzt die Zahl der Verkehrstoten in Österreich. Über einer Seehöhe von 800 m stellt Hitze in der Form kein Problem dar (Schöner & Haslinger 2020).

Ein Wasserdefizit – hervorgerufen durch Niederschlagsmangel oder Verdunstungsüberschuss – charakterisiert Trockenheit (Dürre). Dadurch kann es zu Einschränkungen für die Land- und Forstwirtschaft oder die Wasserversorgung kommen. Außerdem kann Trockenheit weitere Naturgefahren wie etwa Waldbrände, Ernteausfälle oder Schädlingsbefall auslösen (Schöner & Haslinger 2020).

Verstärkte Bodenerosion wird durch die klimawandelbedingte Dürre begünstigt, was wiederum die Grundlage für andere Naturgefahrenereignisse liefert. So ähnlich wie auf diesem Foto sah im Sommer auch der Neusiedlersee aus. (Foto: Jezael Melgoza via unsplash)

Starkniederschlag und Hagel

Die Veränderung der Niederschlagsprozesse aufgrund des globalen Klimawandels ist deutlich komplexer als etwa jene der Temperatur. Grundsätzlich ist im Alpenraum von einer Verschiebung der Niederschläge vom Sommer in den Winter bzw. ins Frühjahr auszugehen. Durch die höheren Temperaturen ist zu erwarten, dass konvektive Starkniederschlagsereignisse (kleinräumige Gewitter) häufiger auftreten, was in weiterer Folge zu einer verstärkten Bodenerosion führt (Mergili & Glade 2020).

Die Klimaerwärmung führt durchschnittlich zu instabileren Luftschichtungen und zu einer Abnahme des Windes in der oberen Troposphäre, jener an die Atmosphäre angrenzenden Schicht, die gemeinhin als “Wetterküche” gilt. Diese Entwicklungen begünstigen stärkere Niederschläge, sowohl in flächigen (ausgelöst durch Tiefdruckgebiete und/oder Staueffekte an Gebirgen) als auch in konvektiven Ereignissen. Das heißt, Gewitter werden aufgrund des Klimawandels (noch) niederschlagsreicher. Starkniederschläge und Hagel zählen zu den schadensträchtigsten Unwetterereignissen im Alpenraum. Das Starkregenrisiko ist entlang der Alpenländer am höchsten. In den Alpenvorländern ist das Hagelrisiko am größten. Die allgemeine Zunahme des Hagelrisikos könnte durch zu erwartende abnehmende Höhenwinde verringert werden (Pistotnik et al. 2020).

Waldbrände und Schutzwaldfunktion

Waldbrände verursachen in Österreich jährlich Kosten und Schäden in Millionenhöhe. 85% der Waldbrände werden von Menschen ausgelöst. Durch die Zunahme von Dürreperioden und Hitzewellen könnten auch Waldbrände im Alpenraum ein gravierendes Problem werden. Da es bisher kaum Erfahrungen mit Großwaldbränden gibt, müssten sie als relativ “neues” Risiko eingestuft werden (Mergili & Glade 2020). Das vermehrte Auftreten von Waldbränden wirkt sich negativ auf die Schutzfunktion der Wälder aus. Außerdem wird das Gefährdungspotenzial von Siedlungen und kritischer Infrastruktur, die direkt an Waldflächen angrenzen, ansteigen. Der gesellschaftliche Wandel führt u.a. zu einer steigenden Freizeitnutzung des Waldes und einem höheren Besucheraufkommen. Dadurch nimmt auch die Zahl möglicher Zündquellen zu (Vacik et al. 2020).

Meldungen über Waldbrände kennt man vor allem aus Südeuropa oder den USA, doch aufgrund des Klimawandels könnte es auch hierzulande vermehrt zu Waldbränden kommen. Der letzte größere Waldbrand in Österreich war jener im Gebiet der Rax (NÖ). (Foto: Ross Stone via unsplash)

Wenngleich höhere Temperaturen und längere Vegetationsperioden zu einem verbesserten Baumwachstum führen, ist der Klimawandel durch die längeren Trockenperioden ein Stressfaktor für Schutzwälder. Durch den Stress wird der Schutzwald anfälliger für Schädlingsbefall, wodurch die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) nach Schadenereignissen abnimmt (Mergili & Glade 2020).

Außerdem wird sich die Baumartenzusammensetzung durch die neuen Konkurrenzverhältnisse ändern, da nicht alle Baumarten die gleiche Toleranz gegenüber Stresssituationen aufweisen. Derartige Änderungen sowie der Verlust von Schutzwaldfläche führen zu Sekundärgefahren aufgrund der geringeren Schutzwirkung gegen Steinschlag, Lawinen, Muren oder anderen Naturgefahrenprozessen (Mergili & Glade 2020).

Niederwasser

Niederwasser ist eine Konsequenz langanhaltender Trockenheit, die sich im Wasserkreislauf fortpflanzt. Dabei sind die Wasserkreislaufkomponenten in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Die klimawandelbedingten Veränderungen sind saisonal und regional unterschiedlich: Mit einer Verschärfung der Niederwassersituation ist im Sommer in manchen Regionen des Flachlands zu rechnen. Durch mehr Schnmelzwasser bzw. weniger in Form von Schnee gebundenem Wasser wird sich die Gefahr von Niederwasser im Winter verringern. Als Vorbereitungsmaßnahme auf extreme Zustände sollten ein Monitoring- und Warnstufenkonzept ausgearbeitet werden und Prioritäten unterschiedlicher Nutzungen festgelegt werden (Laaha 2020).

Hochwasser

Hochwasser können einerseits durch kleinräumige Gewitter, andererseits durch großräumige Extremniederschläge ausgelöst werden. An Österreichs Flüssen tritt Extremhochwasser vorwiegend durch das Zusammenspiel von extremen Niederschlägen und gesättigten Böden auf. Der Boden kann im gesättigten Zustand kein Wasser mehr aufnehmen (“zwischenspeichern”), das heißt, der Regen kann nicht versickern und trägt somit direkt zum Hochwasser bei. Das Hochwasser im Juni 2013, das in weiten Teilen Mitteleuropas große Schäden verursachte, resultierte u.a. aus der bereits vorhandenen hoher Bodenfeuchte (Blöschl 2020). Neben stark durchfeuchteten Böden erhöhen auch extrem trockene Böden das Hochwasserrisiko. Denn auch diese können kein Wasser aufnehmen und reagieren ähnlich wie versiegelter Boden (z.B. Asphalt), dh. der gesamte Regen gelangt direkt in den Abfluss und trägt damit zum Hochwasser bei.

Im Norden Österreichs konnte in den letzten Jahrzehnten eine leichte Zunahme der Hochwasserabflüsse beobachtet werden. Für die Zukunft werden derzeit nur kleine Änderungen erwartet (Blöschl 2020). Einen Trend zu mehr Hochwasserereignissen kann man am ehesten für kleine Einzugsgebiete nachweisen (Mergili & Glade 2020).

Hochwasser werden durch die Einflussgrößen Klimawandel, Landnutzungsänderungen und wasserbauliche Maßnahmen verändert. In puncto Klimawandel ist die allgemeine Veränderung der Niederschlagsmuster am wesentlichsten. Der Einsatz schwerer landwirtschaftlicher Maschinen und die damit einhergehende Verdichtung des Bodens wirken sich ungünstig auf die Versickerungseigenschaften aus, wodurch die Hochwasserentstehung begünstigt wird. Der Verlust von Retentionsflächen durch Bodenversiegelung im Zuge von Bautätigkeiten o.Ä. erhöht ebenfalls das Hochwasserrisiko (Blöschl 2020).

Da sich der genaue Zeitpunkt des jeweils nächsten Hochwasserereignisses nicht genau prognostizieren lässt, kommt dem integrierten Hochwasserrisikomanagement eine besonders wichtige Rolle zu. Dessen Instrumenten sind Hochwasservorsorge, Hochwasserschutz, Bewusstseinsbildung, Vorbereitung und Nachsorge.

Foto: Chris Gallagher via unsplash

Steinschlag und Felssturz

Die beiden Naturgefahrenprozesse Steinschlag und Felssturz gefährden Siedlungsräume, Verkehrswege und andere Infrastrukturen relativ häufig. Steinschlag ist jener Prozess, der das Fallen, Springen und Rollen isolierter Steine und Blöcke bezeichnet. Ein Felssturz ist dadurch charakterisiert, dass zusammenhängende Felsmassen abbrechen, dabei in Steine und Blöcke zerfallen und sich in weiterer Folge als individuelle Fragmente talwärts bewegen. Klimawandelbedingt wird es zu einer Häufung von Extremwetterphänomenen kommen. Daher kann auch bei Sturzprozessen von einem Anstieg von Extremereignissen ausgegangen werden. Schutzbauten sind auf ein sogenanntes Bemessungsereignis dimensioniert. Überlegenswert ist eine Anpassung dieser Bemessungsereignisse aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, um das derzeitige Sicherheitsniveau auch in Zukunft halten zu können. Auch mit aufwändigen Schutzmaßnahmen wäre es jedoch in den meisten Fällen nicht möglich, eine vollständige Minderung bzw. Reduktion der Risiken infolge von Extremereignissen zu erreichen (Preh et al. 2020). Mittlerweile sind auch einige Wanderwege oder alpine Steige aufgrund der hohen Steinschlagaktivität gesperrt. Prominente Beispiele hierfür sind die Bischofsmütze (Salzburg) oder der Mont Blanc, wo sogar Hütten von der Schließung betroffen waren.

Muren, Hangrutschungen und Hangmuren

Für den Naturgefahrenprozess Murgang ist klimawandelbedingt mit einer zunehmenden Häufigkeit zu rechnen. Der Grund dafür liegt darin, dass auch die Murgänge auslösenden Ereignisse, wie etwa konvektive Starkniederschlagsereignisse, häufiger und heftiger auftreten werden (Mergili & Glade 2020). 

Durch die klimawandelbedingten Änderungen in Temperatur und Niederschlag können sich Änderungen in Häufigkeit und Ereignisausmaß ergeben. Auch die erhöhte potenzielle Materialverfügbarkeit durch die zunehmende Hanginstabilität als Folge der veränderten thermischen Bedingungen (z. B. Schwinden des Permafrosts, freigelegtes Moränenmaterial) und die verstärkte Bodenerosion begünstigt die Auslösung von Muren (Glade et al. 2014). Des Weiteren sind Muren nicht an die Verfügbarkeit von Schnee gebunden, wie es etwa bei Schneelawinen der Fall ist. Grundsätzlich ist also ganzjährig mit Muren zu rechnen (Glade & Stötter 2008).

Erschwerend kommt hinzu, dass (Hang-) Muren und Hangrutschungen zukünftig auch an Stellen auftreten könnten, die bisher noch nicht betroffen waren (Glade et al. 2020). Gerade für diese (teilweise unbekannten) Gebiete wird es besonders schwierig sein, adäquate Schutzmaßnahmen zu treffen.

2019 kam es im Salzburger Lungau zu einem großen Murenabgang. (Foto: Thomas Obermair)

Lawinen

Der Klimawandel führt in den Alpen zu einer Zunahme der Winterniederschläge und zu einer Häufung extremer Wetterereignisse. Durch den Temperaturanstieg ist davon auszugehen, dass zukünftig mehr Niederschlag in Form von Regen statt Schnee fallen wird. Einzig in den Hochlagen der Alpen wird für die Wintermonate ein leichter Schneezuwachs erwartet. Diese Prognose bringt neue Herausforderungen für den Lawinenschutz mit sich, gilt es doch, die Schutzfunktion aufrechtzuerhalten (Studeregger et al. 2020).

Durch die veränderten Niederschlagsmuster im Zuge des Klimawandels ist im Fall von Lawinen ein Anstieg von Nassschnee-Lawinen zu erwarten – auch in großen Höhen. Dieser Typ von Lawinen war bisher vor allem für das Frühjahr typisch, könnte zukünftig jedoch durch die geänderten Bedingungen schon früher in der Saison auftreten (Studeregger et al. 2020).

Allenfalls essentiell ist die Verbesserung der Früherkennung des Lawinenrisikos. Hierfür bieten sich zahlreiche Möglichkeiten:

  • Weiterentwicklung von Prognosemodellen,
  • Erforschung von Nassschneelawinen,
  • bessere Sensoren-Technik,
  • mehr und zuverlässigere Monitoring-Systeme,
  • verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit der relevanten Organisationen (im Falle eines  Extremereignisses) (Studeregger et al. 2020).
Lawinen dieser Größe stellen eine Gefahr für Wintersportler:innen dar (“Skifahrerlawine”). Klassische “Katastrophenlawinen”, wie jene in Galtür 1999, fassen deutlich mehr Volumen. (Foto: Anna Siebenbrunner)

Permafrostgefahren

Permafrostvorkommen stehen als sogenannte Temperaturphänomene unter dem Einfluss von Änderungen in der Strahlungsbilanz, der Schneemächtigkeit und des Einschneiungs- und Ausaperungszeitpunkts (Zeitpunkt des Schneefreiwerdens). Der Temperaturanstieg führt – mit Zeitverzögerung – zu einer Erwärmung der Permafrosttemperaturen. Dadurch nimmt auch die Ausdehnung der sommerlichen Auftauschicht zu, ebenso gewinnt die Kriechbewegung der dauerhaft gefrorenen, eisreichen Schuttmassen (sog. Blockgletscher) an Geschwindigkeit. Durch die erwähnten Prozesse kommt es u.a. zu einer Destabilisierung von Felswänden, vormals kolidierte Lockergesteinsmassen werden frei und in Bereiche mit kritischen Hangneigungen transportiert. Deshalb lässt sich auf eine Zunahme von Felsstürzen und Murgängen aus Permafrostgebieten schließen. Daten, die diese These bestätigen, gibt es bereits von einzelnen Standorten; ein prominentes Beispiel ist das Mont Blanc Gebiet. Hier wurden statistisch verlässliche Daten zur Zunahme von Felsstürzen und Steinschlag erhoben (Otto et al. 2020). Besonders wichtig erscheint hier die frühzeitige Detektion von Permafrostvorkommen in gefährdeten Hängen, insbesondere im Umfeld hochalpiner Infrastruktur, um ggf. entsprechende Präventionsmaßnahmen einleiten zu können.

Die Gletscher schmelzen aufgrund des Klimawandels immer weiter ab. Zurück bleiben oftmals instabile Felsbereiche im Gletschervorfeld, hier am Beispiel des Kesselwandferners (Foto: Anna Siebenbrunner).

Gletschergefahren

Die steigenden Temperaturen führen zum Rückgang der Alpengletscher. Dadurch werden Felswände und Lockermaterial frei, was wiederum andere Naturgefahrenprozesse wie Felsstürze oder Muren begünstigt. Untersuchungen am Kitzsteinhorn (Salzburg) zeigten, dass es schon wenige Jahre nach dem Gletscherrückzug zu einer erhöhten Steinschlag- und Felssturzaktivität kommt (Hartmeyer et al. 2015). Langfristig – Jahrhunderte bis Jahrtausende nach dem Abschmelzen der Gletscher – kann es durch die Druckentlastung im Fels zu großen Fels- und Bergstürzen kommen (Fischer et al. 2020).

Eine weitere Konsequenz dieses starken Rückgangs innerhalb der letzten Jahrzehnte ist die Bildung neuer Gletscherseen. Daher ist eine Zunahme von damit in Verbindung stehenden Gefahren (z.B. Gletscherseeausbrüche) zukünftig möglich. Besonders große Gletscherseeausbrüche werden als GLOF (Glacial Lake Outburst Flood) bezeichnet. GLOFs zählen zu den Naturgefahren mit der größten Fernwirkung: Noch in einer Entfernung von mehreren Zehnerkilometern zum Gletschersee können durch die Flutwelle Schäden verursacht werden. Die Auslösung von GLOFs erfolgt entweder (a) durch das Versagen des Damms (bestehend aus Moränenablagerungen oder Gletschereis) oder (b) durch das Stürzen von Fels, Eis, Schnee oder Sedimentmassen in den See (Fischer et al. 2020).

Historisch betrachtet waren Hochwässer, die auf große Abflussmengen aus der Gletscherschmelze zurückzuführen waren, die häufigsten Extremereignisse im Zusammenhang mit Gletschern. Derartige Hochwässer entstehen durch (a) die plötzliche Entleerung von im Gletscher gespeichertem Wasser, (b) die Entleerung von Gletscherseen oder (c) extreme Gletscherschmelze. 

Gletscher stehen in Wechselwirkung mit Felswänden und Permafrost (u.a.) und bilden mit diesen ein gemeinsames System (Fischer et al. 2020).

Spätestens seit dem Eisabbruch am Marmolada Gletscher (Italien) im Juli 2022, infolgedessen mehrere Menschen starben, ist auch diese Naturgefahr einer breiten Massen bekannt. Eisabbrüche und Gletscherstürze sind bei Hängegletschern grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Besonders typisch sind Gletscherstürze bei rückschmelzenden Gletschern im Übergang zwischen den steilen Talflanken und dem Kar, einer lehnsesselartigen Vertiefung im Gelände (Fischer et al. 2020).

Aufgrund des rasanten Voranschreitens der Gletscherschmelze und der damit verbundenen Prozessdynamik lassen sich zukünftige Entwicklungen nicht verlässlich aus vergangenen Ereignissen ableiten. Fest steht jedoch, dass sich die Alpengletscher auch in Zukunft verändern werden und damit auch ihr Gefahrenpotenzial. Die Art und Weise der Veränderung ist noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt Eisabbrüche und Seen im Gletschervorfeld als mögliche Gefahrenquellen (Fischer et al. 2020).

Durch das rasante Abschmelzen der Gletscher entstehen viele neue Gletscherseen, wie hier am Obersulzbachsee im Pinzgau (Salzburg). (Foto: Anna Siebenbrunner)

Multi-Hazards und Kaskadeneffekte

Extremereignisse sind oft einzelne Naturgefahren (Single-Hazard). Sind mehrere Prozesse beteiligt, spricht man von Multi-Hazards. Verstärken sich diese Prozesse gegenseitig, handelt es sich um einen Kaskadeneffekt. Ein Beispiel hierfür wäre ein Hangrutsch, der durch ein Hochwasser ausgelöst wird, oder ein Erdbeben, das für Felsstürze und Schneelawinen verantwortlich ist. Ein historisches Beispiel eines Kaskadeneffektes ist der Bergsturz des Dobratsch, der sich im Winter 1348 ereignete. Das auslösende Ereignis war ein Erdbeben im Friaul (Italien). Das Bergsturzmaterial führte zu einem Aufstau des Flusses Gail, was wiederum Überschwemmungen talabwärts brachte (Pöppl & Sass 2020).

Einige Prozesskombinationen sind im Alpenraum von besonderer Relevanz, da sie im Zuge des Klimawandels in ihrer Auftretenshäufigkeit zunehmen könnten (Pöppl & Sass 2020):

  • Gerinnestauende Massenbewegungen, die Flutereignisse auslösen;
  • Starkregenereignisse bzw. langanhaltende Niederschläge bzw. Niederschläge in Kombination mit Schneeschmelze, die zu Überschwemmungen und Hangbewegungen führen;
  • Ausbruchsfluten (z.B. GLOF) aufgrund von Gletscherschmelze und Permafrostauftauen;
  • mehr Schadlawinen durch die Kombination von heftigen Schneefall- und Sturmereignissen;
  • Dürren, die das Auftreten von Waldbränden häufiger und intensiver machen könnten.

In Bezug auf Multi-Hazards und Kaskadeneffekte ist der Kenntnisstand derzeit noch gering, weshalb Trends nicht aussagekräftig sind und Prognosen zur zukünftigen Entwicklung nur eingeschränkt möglich sind. Da in Hochlagen klimawandelbedingt jedoch mit einer Häufung von Felsstürzen zu rechnen ist, ist auch davon auszugehen, dass diese vermehrt Kaskadenprozesse auslösen. Durch das Auftauen des Permafrosts ist mehr Lockermaterial verfügbar. In Kombination mit der prognostizierten Zunahme von Starkregenereignissen, könnte es daher vermehrt zu Wildbach-Überschwemmungen, flachgründigen Hangbewegungen und Vermurungen kommen. Mitunter könnten Wildbachgerinne auch temporär aufgestaut werden (Pöppl & Sass 2020).

Fazit

Der Klimawandel alleine reicht nicht aus, um die beobachteten Veränderungen zu erklären. Denn neben dem Klima verändern sich auch viele andere Umweltbedingungen (z.B. Böden, Vegetation). Außerdem ist auch unser Gesellschaftssystem mit einem Wandel konfrontiert (z.B. Infrastrukturbauten, Ausweitung des Siedlungsraumes). Da dieses in einer intensiven Wechselwirkung mit der Umwelt steht, ist es besonders schwierig, diese beiden Komponenten voneinander zu trennen. Gerade deshalb braucht es ein tiefgreifendes Verständnis aller Komponenten, um die Auswirkungen des globalen Wandels – also des Klimawandels UND des gesellschaftlichen Wandels – realistisch abschätzen zu können. Genau daran wird glücklicherweise bereits seit Jahrzehnten geforscht.

Referenzen

Headerfoto: Anna Siebenbrunner

Author: Anna Siebenbrunner