Schluss mit dem Zögern und Zaudern: Wie 15 Transformationen uns jetzt den Weg zu einer dekarbonisierten Welt ebnen können

Angesichts des Fortschreitens des Klimawandels werden dringend Maßnahmen zum Gegensteuern benötigt. POW Science Alliance Mitglied Andreas Fazekas hat kürzlich gemeinsam mit Kollegen der Inter-American Development Bank 15 Transformationsvorschläge publiziert, die zu einer Dekarbonisierung von Gesellschaft und Wirtschaft führen sollen.

Die Klimakrise ist in vollem Gange. Hitzewellen quer in Europa im Juli 2022 verursachten neue historische Temperaturhöchstwerte in England, Frankreich, Deutschland oder Spanien. Mit jeder neuen Hitzewelle einhergehend sind Meldungen von tausenden von Hitzetoten, ein Beleg dafür, wie limitiert unsere Infrastruktur in Europa derzeit ist, um mit der Realität der Klimakrise umzugehen. Doch nicht nur in Europa, sondern auf globaler Ebene sind Regionen von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. In den Vereinigten Staaten ist der Colorado River nach einer historisch langen Dürreperiode auf einem neuzeitlichen Tiefstand. Dies führt zu einer direkten Gefährdung der Wasserversorgung von mehr als 40 Millionen Menschen in mehreren US-Bundesstaaten. Auch die Energieerzeugung durch Wasserkraft ist akut gefährdet und stellt eine der größten infrastrukturellen Herausforderungen der USA dar. In Lateinamerika und der Karibik überstiegen im Jahr 2020 die Durchschnittstemperaturen in Florianopolis, Brasilien, um 4,2 °C und in Santa Rosa, Ecuador, um 4,9 °C den historischen Rekord. Im selben Jahr erlebten Brasilien, Paraguay und Bolivien die schlimmste Dürre seit einem halben Jahrhundert, und im atlantischen Becken wurden dreißig tropische Stürme gezählt, die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen.

Die Landwirtschaft wird vom Klimawandel besonders hart getroffen. Umso wichtiger ist auch deshalb, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. (c) Unsplash

Die Dekarbonisierung ist eine Mammutaufgabe – aber nachhaltig und langfristig gewinnbringend

Eine Vielzahl an Studien zeigt jedoch, dass die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften und Gesellschaften nicht nur notwendig, sondern auch gewinnbringend sein kann. Eine kürzlich publizierte Studie der Stanford University beschreibt, dass der Energiesektor auf globaler Ebene vollständig auf erneubare Energien umgestellt werden kann. Die geschätzten Kosten von 62 Billionen USD können innerhalb von 6 Jahren durch Einsparungen von laufenden Kosten (zum Beispiel fossile Rohstoffe zur Energiegewinnung) amortisiert werden. In Lateinamerika und der Karibik zeigen Studien der Inter-American Development Bank, dass die Region durch gezielte Investments in Emissionsreduzierung bis 2030 mit netto 15 Millionen neue Arbeitsplätzen und 1 % zusätzlichem BIP-Wachstum rechnen kann.

Dennoch ist die Umsetzung der Ziele des Pariser Abkommens eine gigantische Aufgabe. In Europa rechnet das Beratungsunternehmen McKinsey damit, dass bis 2050 jährlich 800 Milliarden Euro oder 4% des BIPs der Europäischen Union in emissionsfreie Technologien investiert werden müssen. Die Umgestaltung unserer Volkswirtschaften ist nur möglich, wenn alle Akteure die Dringlichkeit der Situation realisieren. Das bedeutet zu verstehen, was der Übergang zu einer dekarbonisierten Welt erfordert, warum er im Interesse aller ist und was globale, nationale, regional und lokale Entscheidungstraeger beitragen können, um diesen Übergang zu ermöglichen.

Wir kennen alle Instrumente und Technologien, um die Transformation zu einer dekarbonisierten Welt jetzt umzusetzen

Um bei dieser Aufgabe zu helfen, zeigen wir in einer neuen Studie auf, welche Optionen Regierungen haben, um ohne weitere Verzoegerungen den Umstieg zu einer dekarbonisierten Welt zu fördern. Wir beschreiben 15 Veränderungen, welche zu tiefgreifenden Emissionssenkungen beitragen können, basierend auf einem breiten wissenschaftlichen Fundament und unter Berücksichtigung bestehender Technologien. Diese 15 Transformationen umfassen die wichtigsten Sektoren, gemessen an den aktuellen Treibhausgasemissionen: Elektrizität, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft sowie Landnutzung, Gebäude, Industrie und Abfallwirtschaft.

In Island wird verstärkt auf alternative Technologien, wie hier eine „Decarbonization Plant“ gesetzt. (c) Thomas Obermair

Die 15 Transformationen sind:

  • Accelerate carbon-free variable and flexible electricity generation through sources such as solar, wind, geothermal, and hydropower
  • Phasing out all fossil fuel electricity generation, such as coal, natural gas, and diesel
  • Reduce individual motorized transport and increase public transport, walking, and biking
  • Replace diesel and gasoline passenger vehicles with electric and zero-emission vehicles
  • Shift freight transport to rail, water and low- or zero-emission technologies
  • Modernize farming practices to reduce emissions of methane and nitrous oxide
  • Pursue conservation of forests and other high-carbon ecosystems and farmland restoration
  • Reduce consumption of beef and dairy
  • Achieve the highest possible energy efficiency for building shells and appliances
  • Electrify building appliances
  • Deploy solar electricity and hot water generation on buildings
  • Electrify low heat industry
  • Replace all fuels and feedstocks in heavy, high-heat industry with lower-emissions alternatives
  • Work towards a circular economy
  • Reduce food loss and waste and implement active methane management for organic material disposal

Anders als in vielen Beiträgen wollen wir abseits der Emissionsreduzierung aufzeigen, welche Art von sozialem und wirtschaftlichem Nutzen von diesen Transformationen zu erwarten ist. So führt die Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe zu einer geringeren Verschmutzung in Städten und Gemeinden, was sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Der Umstieg auf öffentlichen Verkehr kann Zeit im Wert von Milliarden von Euro einsparen, die Millionen von EuropäerInnen derzeit in Staus verbringen. Erneuerbare Energien, die weltweit die billigste Form der Elektrizität sind, können zu niedrigeren und stabileren Preisen für KonsumentInnen und Unternehmen führen. Die Reduzierung von tierischen Produkten, insbesondere Rindfleisch und Kuhmilch, bringt signifikante gesundheitliche Vorteile mit sich, reduziert Landnutzung und verringert Tierleid. Die Erhaltung von Wäldern bringt Vorteile für das Ökosystem und höhere Biodiversität mit sich. Und eine Kreislaufwirtschaft kann die Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen verbessern.

Doch der Wandel kommt nicht von allein. Dutzende Hindernisse, die in dem Bericht aufgeführt sind, hindern öffentliche und private Akteure daran, den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft voranzutreiben. Unter anderem begünstigen Regulationen oft traditionelle, fossile Technologien. Wichtige Infrastruktur fehlt oder ist unzureichend. Das Fehlen von Gehwegen, baulich getrennten Radwegen und Maßnahmen zur Reduzierung von motorisiertem Privatverkehr führt dazu, dass Gehen und Radfahren weniger bequem und gleichzeitig gefährlicher ist als Strecken mit dem Auto zu absolvieren. Finanzierung für emissionsfreie Technologien ist oft schwierig zu realisieren, da Finanzierungen aufgrund hoher Anfangsinvestments, aber signifikant niedrigerer Betriebskosten grundlegend anders analysiert werden müssen. Zentralen Akteuren mangelt es oftmals an Informationen oder an dem Willen zu handeln.

Klimafreundliche Mobilität wird in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. (c) Unsplash

Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen müssen zusammen mutige und signifikante Maßnahmen einleiten und umsetzen

Es ist essentiell, dass Politiker:innen und andere Entscheidungsträger:innen diese Hindernisse analysieren und entsprechend systematisch handeln, um die Klimawende zu realisieren. Wir zeigen in diesem Bericht auf, welche Art von politischer Intervention notwendig und sinnvoll ist: Regulierungsreformen, der Ausbau von zentraler Infrastruktur, Steuerreformen oder der gezielte Aufbau von Wissen und Bewusstsein durch breite Informationskampagnen. Regierungen können zum Beispiel Geh- und Radwege fördern, die ein sicheres Gehen und Radfahren ermöglichen. Sie können den öffentlichen Nahverkehr und die Strommärkte neu gestalten. Die Bauordnung kann durch Reformen so gestaltet werden, dass neue Gebäude gut isoliert und für dezentrale Solarenergie vorbereitet sein müssen. Förderungen können Entscheidungen für Wärmepumpen oder elektrische Kochherde begünstigen. Regierungen können Treibhausgas-bewusste Praktiken in der Landwirtschaft fördern und die Bürger:innen über eine gesunde Ernährung auf der Grundlage von Produkten mit einem geringen Emissionsfußabdruck informieren.

Zudem ist es gleichzeitig wichtig, Maßnahmen zum Ausgleich der Verteilungseffekte der Klimawende bereitzustellen und damit einen gerechten Übergang zu einer dekarbonisierten Welt zu gewährleisten. Regierungen können dafür sorgen, dass die vom Verlust von fossilen Industrien betroffenen Arbeitnehmer:innen und Gemeinden an der Gestaltung von Maßnahmen für einen gerechten Übergang beteiligt werden und Entschädigungen und Unterstützung für den Wegfall der emissionsintensiven Betriebe erhalten. 

Die Aufgabe ist komplex – aber wir müssen und können jetzt handeln

Wir behaupten nicht, dass die Dekarbonisierung einfach ist oder dass Länder alle aufgeführten staatlichen Maßnahmen sofort umsetzen sollten. Im Gegenteil: Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass der Übergang zu einer dekarbonisierten Gesellschaft komplex ist und nicht von einer Handvoll staatlicher Stellen oder mit nur ein oder zwei politischen Instrumenten gelöst werden kann. Stattdessen ist ein regierungsübergreifender Ansatz erforderlich, bei dem alle Ministerien und alle Regierungsebenen, einschließlich der Regionen und Städte, sowie natürlich die Zivilgesellschaft, eine Rolle spielen.

Durch diese Studie wollen wir klarstellen, dass wir alle Instrumente in der Hand haben, um jetzt massiv in die Klimawende zu investieren und die politischen und regulatorischen Weichen so zu stellen, um das Pariser Klimaziel zu erreichen und um nachfolgenden Generationen ein Leben in einer nachhaltigen und emissionsneutralen Welt zu ermöglichen. Wir bieten einen positiven und realistischen Blick auf die Umgestaltung unserer Gesellschaften und laden dazu ein, diesen Blick zu teilen und die aufgeführten 15 Transformationen als Anlass zu nehmen, um jetzt und hier an einer besseren Zukunft zu arbeiten.

Link zur Studie

Fragen und Anregungen: fazekas.andreas (@) gmail.com; Twitter: @and_fazekas

Die 15 Transformationen nach Sektoren im visuellen Schnelldurchlauf

Author: Andreas Fazekas