Wie kann ein nachhaltiger (Winter-)urlaub aussehen? – ein Interview mit Alpine Pearls
Zitatgeber: Karmen Mentil, Geschäftsführerin Alpine Pearls / ÖAR GmbH Wien
Die sogenannte Dachmarke Alpine Pearls ist ein transnationales Netzwerk von Tourismusorten in den Alpen, die allesamt den Anspruch verfolgen nachhaltigen Tourismus zu fördern. Dabei sprechen sie selbst von „sanften Tourismus mit Mobilitätsgarantie“. Das Netzwerk besteht aus aktuell 19 Mitgliedsorten der fünf Alpenländer Österreich, Deutschland, Slowenien, Italien und der Schweiz. Was eigentlich genau dahinter steckt, wie ihr Anspruch in der Praxis umgesetzt wird und wie sie ihre Ziele trotz politischer Abhängigkeiten umsetzen, erfahrt im Interview mit Karmin Mentil, Geschäftsführerin Alpine Pearls / ÖAR GmbH Wien. Obendrein gibt es auch noch ein paar Tipps für euren nächsten Urlaub…
Wie kam es eigentlich zur Idee hinter Alpine Pearls?
Alpine Pearls war das Ergebnis aus den zwei EU-Projekte Alps Mobility und Alps Mobility II (2001 – 2006). Beide gehen auf die Initiative des Österreichischen Bundesumweltministeriums zurück. Im Mittelpunkt stand hierbei die Schaffung innovativer, nachhaltiger und klimafreundlicher Tourismusangebote mit sanfter Mobilität und die enge Vernetzung dieser nachhaltigen Destinationen.
Der Verein wurde daraufhin im Jahre 2006 von 17 Mitgliedern, den „Perlen der Alpen“, mit Sitz in Werfenweng in Österreich gegründet.
Die zwei Hauptziele von Alpine Pearls sind daher zum einen die Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks, um Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen zu fördern und zum anderen die Bewerbung der Perlen und ihrer herausragenden grünen Reiseangebote insbesondere für die wachsende Zielgruppe der Haushalte ohne Auto.
Seit 2007 wurden dann weitere Mitglieder aufgenommen, denen die Förderung des nachhaltigen Tourismus mit sanfter Mobilität am Herzen liegt. Zu der sanften Mobilität zählen beispielsweise die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Überbrückung der „letzten Meile“ oder das Angebot von sanften Freizeitaktivitäten.
Heute ist Alpine Pearls ein transnationales Netzwerk von sanft-mobilen Tourismusorten in den Alpen. Es besteht aus aktuell 19 Mitgliedsorten der fünf Alpenländer Österreich, Deutschland, Slowenien, Italien und der Schweiz.
Sie sprechen oft von Mobilitätsgarantie – was kann man sich darunter vorstellen?
Die Mobilitätsgarantie bedeutet, dass Gäste kein eigenes Auto benötigen, um tagtäglich im Urlaub voll mobil zu sein. Angefangen bei der „letzten Meile“ – der Wegstrecke Bahnhof-Unterkunft, über Ausflugsziele und andere im Urlaub wichtige Ziele wie Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten, Arzt und Apotheke, aber auch Events sind ohne eigenes Auto gut erreichbar. Viele dieser Orte können fußläufig erreicht werden. Falls nicht stehen in jeder Perle individuelle Mobilitätslösungen zur Verfügung, um einfach und ohne viel Aufwand am gewünschten Ziel anzukommen. Die Möglichkeiten reichen von öffentlichen Verkehrsmitteln, wie Linienbusse, über Shuttleservices, Ortstaxis, Pferdeschlitten, aber auch der Verleih von E-Fahrzeugen und E-Bikes zählt dazu. Dabei bietet jeder Mitgliedsort individuelle Angebote an, die zu der Infrastruktur des Ortes passen.
Welche Werte und Aspekte von „sanftem Tourismus“ sind für Alpine Pearls maßgebend? Und wie werden diese in die Praxis umgesetzt?
Es gibt einen Kriterienkatalog, den alle Alpine Pearls Mitglieder erfüllen müssen. Dieser zeigt auch, welche Aspekte des sanften Tourismus für Alpine Pearls von Bedeutung sind. Dazu gehört selbstverständlich der Aspekt der Mobilität, welcher Aspekte wie Transferservices, verkehrsberuhigter Ortskerne und umweltfreundliche Freizeitangebote inkludiert. Darüber hinaus werden aber auch weitere ökologische Mindeststandards gesetzt. Dabei handelt es sich um Themen wie dem Schutz der Biodiversität, der Förderung regionaler Wirtschaft, die Verbesserung der Umweltqualität, beispielsweise durch die Nutzung erneuerbarer Energien, sowie die stetige Förderung der Wohlfühlqualität. Hierzu zählt unter anderem der Erhalt des regionaltypischen Ortsbildes.
Jedes Mitglied hat diese Kriterien zu erfüllen. Die Umsetzung differiert von Perle zu Perle. Als ein Beispiel kann die Perle Werfenweng genannt werden: Diese hat Anreize für eine sanfte Anreise geschaffen. Gäste, die in einem Samo-Partnerbetrieb nächtigen und autofrei anreisen oder ihren Autoschlüssel während ihres Urlaubs abgeben, erhalten für die Dauer ihres Aufenthaltes die sogenannte „SAMO-Card“, mit der sie kostenlos Shuttle-Busse, E-Autos, E-Mountainbikes und viele weitere Dienstleistungen nutzen können. Im Ort gibt es zudem einen Supermarkt sowie einen Bauernladen, welche regionale Produkte verkaufen. Straßenlaternen werden teilweise mit Solarenergie betrieben.
Welche Tipps haben Sie für unsere Community, um einen Urlaub umweltfreundlich zu gestalten? Auf was kommt es an?
Der Großteil des CO2-Ausstoßes eines Urlaubs – fast 80 % – sind auf die An- und Abreise zurückzuführen. Daher lohnt es sich definitiv mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Services wie der Gepäcktransport von Bahnanbietern kann diesen Umstieg vom eigenen Auto auf öffentliche Verkehrsmittel noch erleichtern.
Der restliche Teil des CO2-Fußabdrucks fällt auf die Zeit vor Ort. Um diesen so klein wie möglich zu halten, kann unter anderem geschaut werden, welche sanften Aktivitäten in der Region angeboten werden. Bei den alpinen Perlen zählen hierzu beispielsweise Wandern, Ski-Langlauf, Schneeschuhwandern oder Radfahren. Zudem kann die bewusste Auswahl einer nachhaltig orientierten Unterkunft, wie den Alpine-Pearls-Gastgebern, sowie die Nutzung von regionalen Produkten den ökologischen Fußabdruck der Reise verringern.
Wie lange sollte ein Urlaub sein und wie weit darf ein Ziel eigentlich weg sein, um auch wirklich von nachhaltig sprechen zu können?
Je länger der Urlaub, desto besser, da so durchschnittlich mehr Fahrtwege reduziert werden. Zudem hat die Region dadurch eine höhere Wertschöpfung, was in Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit von großer Bedeutung ist.
Bei der Entfernung der Reise kommt es sehr stark auf die Art der An- und Abreise an. Ein kurzer Inlandsflug ist schädlicher als eine weite Bahnreise – die Entfernung spielt daher nicht die größte Rolle. Trotzdem empfehlen wir nahe gelegene Urlaubsziele (mit Bahnanreise) anzusteuern, um den ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten.
Durch die Förderung seitens der Europäischen Union sowie zahlreicher Awards zählen Sie als Pionierbeispiel was „nachhaltigem Tourismus“ betrifft. Können Sie uns einen Einblick geben, wie die Situation bezüglich Fördergeldern aussieht und in welche Projekte Sie diese (auch in Zukunft) investieren möchten?
Derzeit sind wir Projektpartner in zwei von der EU geförderten Projekten:
- Interreg Bayern-Österreich – Connect2Move (Wandern für die Herzgesundheit)
- Erasmus+ SKILLED (Entwicklung eines europäischen Experten für Regionalentwicklung)
Insgesamt gibt es innerhalb der EU große Bemühungen, das Thema Nachhaltigkeit zu forcieren. Ein wichtiger Punkt für Alpine Pearls wäre es, die Mobilitätsangebote innerhalb der einzelnen Orte in einer App darzustellen, um dem Gast die Anreise (vor allem länderübergreifend) maßgeblich zu erleichtern. Diese Art der Fahrplanauskunft würde die öffentliche Anreise weitaus attraktiver machen. Weiters ist das Thema der erneuerbaren Energien (genutzt für die lokale Mobilität) ein für uns relevantes, wir bereiten hier eine Projekteinreichung vor.
Der Tourismus wird, seitens medialer Berichterstattung, oftmals als politisches Handlungs- und Spielfeld dargestellt. Nachhaltigkeit, Klima und Naturschutz sollten, innerhalb einer Gesellschaft, über politischen Zielen stehen. Wie werden, trotz eventueller politischer Abhängigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden die gestellten Ziele hochgehalten?
Nachhaltigkeit sollte auf allen Ebenen oben auf der Liste stehen. Es ist korrekt, dass teilweise ein bestimmter politischer Rahmen gegeben sein muss, um bestimmte Maßnahmen umsetzen zu können. Viele Maßnahmen können allerdings bereits jetzt von Unternehmen und Privatpersonen umgesetzt werden, die eine nachhaltige Entwicklung fördern. Durch diese Maßnahmen und Zusammenschlüsse wie Alpine Pearls sowie dem generell wachsenden Interesse am Thema Nachhaltigkeit, kann Druck ausgeübt und der politische Rahmen geformt werden.
Es gilt umzusetzen, was bereits umsetzbar ist und für alles andere simultan den politischen Rahmen zu schaffen, damit die nachhaltige Entwicklung nicht stagniert.
Rahmenbedingungen der Politik
In aller Munde ist “die Pandemie als Chance”. Damit dies nicht ein Wunschtraum bleibt und tatsächlich das darin liegende Potenzial gehoben werden kann, müssen politische und finanzielle Rahmenbedingungen dementsprechend gesetzt werden. Zwei Schwerpunkte sind hier immens wichtig: Einerseits der Fokus auf eine qualitätsvolle Tourismusentwicklung anstatt Massentourismus sowie andererseits das Vorantreiben eines umfassenden Mobilitätswandels. Zu diesem gehörten u. a. die Nutzung erneuerbarer Energien, der Einsatz innovativer Technologien im Fahrzeugbereich sowie KI-gestützte Anwendungen zur Lenkung von Besucherströmen. Und nicht zuletzt steht die Weiterentwicklung integrierter, praktischer Mobilitätsinformationssysteme an. Weiter von zentraler Wichtigkeit ist, dass der Öffentliche Verkehr umfassend attraktiver und ausgebaut wird. Wird dieser dann noch kostengünstig angeboten, sind steigender Bedarf und zufriedene Nutzer garantiert.
Titelbild (c) Sedrun Disentis Tourismus