Wintertourismus veröffentlichen

Eine Spurensuche im Wipptal zwischen Bus, Bahn und Skitour

Viel zu oft wirken öffentliche Verkehrsmittel und Tourismus wie Fremdkörper zueinander. Da muss sich künftig etwas daran ändern – nicht zuletzt wegen des Klimawandels. Kreative Ideen sind gefragt, um die Öffi-Nutzung für Tourist:innen zu attraktivieren. Die POW Crew hat sich auf Spurensuche ins Tiroler Wipptal begeben.

Einst ließ das Aufkommen des Tourismus Wohlstand in den bergbäuerlich geprägten Alpentälern aufkommen. Die Sommerfrischler von damals kamen auch im Winter wieder, Schritt für Schritt wurde der Wintertourismus so essentieller Baustein der österreichischen Wirtschaft. Jahr für Jahr stiegen die Nächtigungszahlen, neben Aufstockungen der Bettenkapazitäten durch Hotelneubauten und Errichtungen sogenannter Chalet-Dörfer wurde auch immer mehr touristische Infrastruktur gebaut und die Natur so immer weiter verbaut. Lange schien diese Entwicklung unaufhaltsam, die Covid-19-Pandemie und die mit dem Nobelskiort Ischgl untrennbar verbundenen Geschehnisse ließen die Auswucherungen des Alpentourismus jedoch plötzlich in einem ganz anderen – kritischen – Licht erscheinen.

Nach der Skitour übers Kalbenjoch im Bergsteigerdorf Trins angekommen. (c) Berghasen

Die Pandemie gibt zwar noch immer in gewisser Weise den Takt für sämtliche Lebensbereiche vor, doch seit den ersten bekannt gewordenen Covid-Fällen in Après-Ski Hotspots hat sich viel getan. Klar ist auch, dass Tourismus in dieser Form nicht zukunftsfähig ist und – im Gegenteil – zu Lasten der einheimischen Bevölkerung und der Umwelt geht. Insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels ist eine alternative, verträgliche Form des Tourismus notwendig. Eine wesentliche Rolle muss dabei der öffentliche Verkehr spielen, entfallen doch winters wie sommers die meisten Emissionen der Urlauber:innen prozentuell auf die An- und Abreise.

Immer mehr Tourismusregionen springen daher – wortwörtlich – auf den Zug auf, bewerben die öffentliche An- und Abreise und versuchen auch die Mobilität vor Ort auf den ÖPNV zu verlagern. Viele Regionen Österreichs erscheinen aus geographischer und infrastruktureller Sicht geeignet dafür, die wenigsten werben (bisher) aktiv damit. Eine Region, die diesbezüglich in die Offensive geht, ist das Tiroler Wipptal. Grund genug für POW, sich vor Ort auf Spurensuche zu begeben.

Das Wipptal

Das Wipptal verbindet die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck über den Brenner, den niedrigsten Alpenpass, mit dem Südtiroler Sterzing. Neben der Brennerautobahn – ihres Zeichens vor allem aus Mautstreits und den Verkehrsmeldungen bekannt – zieht sich auch die Brennerbahn durch das Wipptal. Damit ist auch die öffentliche An- und Abreise per Zug erleichtert möglich. Die S-Bahn hält aus Innsbruck kommend in den Orten Matrei, Steinach, St. Jodok und Gries, bevor sie die Endstation am Brenner erreicht, wo das Umsteigen ins italienische Pendent zur Weiterfahrt Richtung Gossensaß und Sterzing erfolgen kann. Die Seitentäler sind von den diversen Bahnhöfen gut mit Bussen erreichbar.

Reality-Check

Tatsächlich gibt es regelmäßige Busverbindungen in die Seitentäler. Teilweise lässt die Taktung jedoch – vor allem im Hinblick auf sportliche Unternehmungen – zu wünschen übrig. Manche Seitentäler sind überhaupt nur werktags per ÖPNV erreichbar. Dennoch gibt es im Wipptal viele Tourenziele, die sich mit öffentlicher An- und Abreise kombinieren lassen. Im Vergleich zum komfortablen eigenen Auto, in dem man seine Skiausrüstung bequem im Kofferraum verstauen kann, muss man derzeit bei der Fahrt mit Öffis einige zusätzliche Strapazen in Kauf nehmen. Das Equipment muss mangels passender Halterungen oder ausreichend Stauraum meist die ganze Fahrt hindurch in Händen gehalten werden, möchte man damit nicht andere Sitzplätze okkupieren. (Tipps zu Wintersport kombiniert mit ÖPNV gibt es übrigens in unserem Blogartikel.) Hier sollte nachgebessert werden, um den Komfort anzuheben und dadurch Öffis für Skitourengeher:innen als Alternative zum PKW zu positionieren. Die Parkplätze vor Ort sind – verglichen mit anderen Destinationen – relativ günstig. Eine entsprechende Verteuerung wäre ein weiterer Anreiz zum Umsteigen auf Öffis. Ob hier die derzeit sehr hohen Spritpreise zumindest einen Lenkungseffekt erzielen? Im Wipptal ist jedenfalls eine dahingehende Aufbruchsstimmung zu bemerken: Man ist um Verbesserung bemüht und möchte zukünftig vor allem Gäste mit der einfachen Öffi-Anreise für einen Urlaub im Wipptal überzeugen.

Im Anstieg zur Kesselspitze – ein kleiner Abstecher auf der Wipptal-Durchquerung. (c) Thomas Obermair

Die Wipptaler Skidurchquerung

Viele kennen das Wipptal eben nur von der Durchreise, es gibt nur wenig Attraktionen mit hoher öffentlicher Reichweite. Im Vergleich dazu stellen die großen Skigebiete Tirols Touristenmagnete dar. Ganz klar, dass im Wipptal kein Massentourismus bedient werden kann, das soll er aber auch nicht. Hier will man ein authentisches Erlebnis inmitten Tirols vermitteln, wo die Leute noch leben und arbeiten. Um dennoch rentablen Tourismus umsetzen zu können, braucht es attraktive Angebote. Aus seiner Berufserfahrung weiß der Bergführer Thomas Senfter, dass beispielsweise Überschreitungen viele Alpinist:innen anlocken, aber die Durchschnittsurlauber:innen oft abschrecken. Er ist der “Erfinder” der Wipptaler Skidurchquerung. Dabei sucht er den Mittelweg, zwischen Extrembergsteigen und Luxusurlaub, zwischen Unannehmlichkeiten und Komfortzone, zwischen Ehrgeiz und Neugier.

Die Flatschspitz – das finale Ziel der Wipptal-Durchquerung. (c) Thomas Obermair

Die Tourenwahl ist gut geeignet für die Zielgruppe der weniger erfahrenen oder auf Genuss ausgerichteten Skitourengeher:innen. Landschaftlich berauschend, alpinistisch teilweise fordernd, aber nicht gefährlich. So sind Tragepassagen und weite Skiquerungen inklusive, ja sogar das Erlebnis, sich mit Steigeisen fortzubewegen, ebenso wie bei “echten” Überschreitungen. Die Transfers erfolgen alle klimaschonend mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, nur den Start der ersten Etappe muss man per Hotelshuttle erschließen, da die Busverbindung vor wenigen Jahren aufgelöst wurde. Eine Nacht im Hotel lässt einen frisch in den nächsten Tourentag starten und am letzten Abend bietet eine Hüttenübernachtung noch den Flair, den eine Gebirgsdurchquerung verspricht. Die Hürden fallen nach der Reihe, und möchte man zwischendurch einen Ruhetag einlegen, bleibt Zeit, die Kultur im Wipptal zu erkunden, mit einheimischen Künstler:innen, der Kletterhalle in Matrei und der in weniger als 20 Minuten erreichbaren Landeshauptstadt Innsbruck.

Mehr Infos über die Wipptaler Skidurchquerung findet ihr auf der Seite von Wipptal Tourismus.

In den Blogs von Susanne Kraft und Karl Plohovich sind alle Etappen der Skidurchquerung und deren persönliche Eindrücke nachzulesen

Auch Georg Bayerle vom Bayerischen Rundfunk berichtet in der Sendung Rucksackradio von der ersten Wipptaler Skidurchquerung. Die Sendung gibt es als Podcast zum Nachhören bzw. auf der Website zum Nachlesen

Author: Anna Siebenbrunner & Thomas Obermair