Die Zukunft des Wintertourismus: Wie wollen wir in den Alpen leben?

Staus in die Skigebiete; Einheimische, die sich den Wohnraum nicht mehr leisten können; Arbeitskräftemangel im Tourismus oder die Zerstörung sensibler alpiner Landschaften durch Skigebietserweiterungen – wir alle kennen die Schlagzeilen, für viele Menschen sind diese Alltag und ereignen sich direkt vor der Haustür. Wie viel Tourismus verträgt der Alpenraum noch? Eine raumplanerische Betrachtung des Spannungsfeldes.

Wird der Wintertourismus, abseits der Fakten der zunehmenden Erderwärmung, betrachtet, sorgt dieser für zahlreiche gesamtgesellschaftliche Diskussionen – vor allem in einer Zeit, in der immer weniger Menschen Wintersport betreiben. Diese Interessenskonflikte werfen Fragen auf: Wie wollen wir in Zukunft im Alpenraum leben? Welche Priorität hat der Wintertourismus?

Die Ursachen der oben genannten Herausforderungen unterscheiden sich teilweise, haben aber auch eine Gemeinsamkeit: den Größenwahn im Wintertourismus und ein immer fortschreitendes Wachstum, den Wettstreit um die größten Skigebiete, die modernsten Liftanlagen und meisten Pistenkilometer.

Der Wintertourismus hat in seiner Geschichte für Wohlstand und Wirtschaftswachstum in abgelegenen alpinen Regionen gesorgt und ist nicht per se als schlecht zu bewerten, jedoch gelangt das ständige Wachstum an seine Grenzen. Entscheidungen aus der Vergangenheit schaukeln sich ins Endlose auf (Winiwarter, Groß, 2017). In der Fachsprache wird oftmals vom Betten-Pisten-Kreisel gesprochen: Eine neue Liftanlage oder Piste sorgt für eine bessere Verteilung der Gäste im Skigebiet und demnach erhöht sich auch die Anzahl an Besucher:innen, die das Gebiet verträgt. Hotels bauen ihre Kapazitäten aus,  mit mehr Zimmern steigt der Personalbedarf und zusätzliche Gäste induzieren mehr Verkehr. Dadurch explodieren auch die Preise für die wenigen vorhandenen Grundstücke etc. Diese stetigen Entwicklungen sorgen für Nutzungsdruck im dieserorts ohnehin schon sehr begrenzten Dauersiedlungsraum.

Das Gletscherskigebiet Kitzsteinhorn im Sommer – nicht unbedingt ein Augenschmaus. – © Anna Siebenbrunner

Rechtlich sind solche geringfügigen Erweiterungen in den meisten Fällen kein Problem, ein Antrag auf Umwidmung einer kleineren Fläche für einen Zubau oder eine einzelne Skipiste ist meist rasch gestellt und vom Bürgermeister/der Bürgermeisterin genehmigt. Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP-G 2000 Anhang 1 Z12) sind erst ab einer gewissen Projektgröße notwendig und auch hier gibt es Ausnahmeregelungen. Ohne touristische Fachkonzepte oder Masterpläne endet diese Kumulationsthematik in einer Endlosspirale. Aber wer entscheidet darüber, was gebaut wird und was nicht? Wie werden solche Entwicklungen geplant?

Was hat das mit Raumplanung zu tun?

Der Begriff Raumplanung umfasst alle Aspekte der Raumentwicklung von Infrastrukturplanung wie Ver- und Entsorgung über Verkehrsplanung, Wohnbau und Siedlungsentwicklung, Entscheidungen von Wirtschaftsstandorten, Tourismus, Umwelt, Naturraum bis hin zur Landwirtschaft. All diese vielen verschiedenen Disziplinen haben unterschiedliche Interessen und zweifellos ihre Daseinsberechtigung. In der Raumplanung geht es darum, diese Funktionen und Ansprüche an unseren Lebensraum zu vereinen. 

Die Planung ist politisch geprägt, das Bau- und Raumordnungsrecht liegt in der Kompetenz der Gemeinden, dementsprechend werden auch die Interessen vertreten (B-VG Artikel 118). Die oberste Instanz ist in solchen Belangen der Bürgermeister/die Bürgermeisterin, diese:r entscheidet über die Widmung von Flächen etc. Dass in Gemeinden, die vom Tourismus leben, eine nachhaltige Entwicklung nicht an oberster Priorität steht, ist – zumindest aus Sicht der Gemeinde – (teilweise) nachvollziehbar. 

Für die gesamtheitliche Entwicklung eines Bundeslandes/einer Region sind in Österreich die Bundesländer zuständig. Mit Fachgesetzen wie dem Naturschutzgesetz oder Raumordnungsrecht und dessen untergeordneten sektoralen Raumordnungskonzepten können die Länder überregional Flächen für bestimmte Nutzungen ausweisen, zum Beispiel für Windkraftanlagen oder Skigebiete. Die Handhabung dieser überregionalen Konzepte variiert je nach Bundesland etwas.

Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Dokumente für die Erweiterung von Skigebieten – © Sophie Hofbauer

Darüber hinaus gibt es noch Bundesgesetze, wie beispielsweise das Forst- und Wasserrecht, die in der Detailplanung eine wichtige Rolle spielen, aber auf die gesamtheitliche Raumplanung wenig Einfluss haben. Weiters gibt es die ÖROK (Österreichische Raumordnungskonferenz), die bundesweite Empfehlungen für eine gesamtheitliche, strategische Raumentwicklung erarbeitet. Diese Empfehlungen stellen aber keine Verpflichtung für die Länder dar. Über all diesen Stufen steht die Alpenkonvention, ein völkerrechtliches Dokument der acht Alpenstaaten, das für eine nachhaltige Entwicklung im Alpenraum steht. Rahmendokumente zu den Protokollen (Berglandwirtschaft, Tourismus, Energie etc.) wurden in den Alpenstaaten ratifiziert und dienen als Grundlage für nationale Gesetze.

Als Raumplaner:in, Verkehrsplaner:in, Landschaftsplaner:in etc. ist die Abhängigkeit von Gemeindepolitiker:innen und deren Entscheidungen demnach sehr hoch. Deshalb ist es umso wichtiger, Festlegungen auf ‚höherer‘ Instanz zu treffen. 

Wie wird das Thema Wintertourismus in der Raumplanung aktuell gehandhabt und wie kann es zukünftig behandelt werden?

Aktuell sind regionale Raumordnungs- und Tourismuskonzepte sehr vage formuliert. Um ein Beispiel für die Erweiterung von Skigebieten zu nennen: In Tirol wurde dieses Jahr ein Raumordnungsplan zur Raumverträglichen Tourismusentwicklung 2030 beschlossen. Zu einem großen Teil können darin sehr allgemeine Aussagen, wie die folgende, gefunden werden:

„Auch bei der Weiterentwicklung der Freizeitinfrastruktur wie auch Skigebieten gilt es die Möglichkeiten einer qualitätsvollen Innenentwicklung einer Entwicklung nach Außen vorzuziehen und voll auszuschöpfen, wobei auf den Aspekt der Bewahrung intakter Naturräume besonderes Augenmerk gelegt wird.“ S. 8, Raumordnungsplan Raumverträgliche Tourismusentwicklung 2030

Für genauere Vorgaben wird nach diesem Zitat auf das Tiroler Seilbahn- und Schigebietsprogramm 2018 (TSSP 2018) verweisen, welches den rechtlichen Rahmen für die Entwicklung von Skigebieten vorgibt. Neuerschließungen werden darin grundsätzlich verboten, aber großräumige Erweiterungen sind erlaubt, solange sie zum Beispiel “.. im wirtschaftlichen, insbesondere touristischen, Interesse der betreffenden Region …” (§4 b)) sind. 

Dieses Programm besagt auch, dass eine Erweiterung über die festgelegten Außengrenzen grundsätzlich möglich ist: “Als Erweiterung bestehender Skigebiete gilt die Errichtung von Seilbahnen und die Durchführung sonstiger schitechnischer Erschließungen, wenn dadurch die Außengrenzen bestehender Schigebiete überschritten werden, jedoch keine Neuerschließung im Sinn des Abs. 1 vorliegt. Dabei bleiben geringfügige Überschreitungen der Außengrenzen, die im Hinblick auf die Festlegungen dieses Raumordnungsprogrammes nicht von Belang sind, außer Betracht. Als Erweiterung bestehender Schigebiete gilt ferner der Zusammenschluss bestehender Schigebiete.” (TSSP 2018 § 2 Abs. 6)

Die aktuellen Regelungen bieten also zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten für die Erweiterungen von Skigebieten, ähnlich ist es mit Zweitwohnsitzen (umgangssprachlich auch Ferienwohnungen genannt) in Tourismusgebieten. Diese treiben die Immobilienpreise in die Höhe und erschweren die Wohnraumsuche für Einheimische. Zudem sind die Betten die meiste Zeit des Jahres über leer (kalte Betten) und spülen deshalb kein Geld in die Kassen. Das haben die meisten Gemeinden erkannt und deshalb schon vor Jahren Obergrenzen für Zweitwohnsitzgebiete in ihren Flächenwidmungsplänen festgelegt.

Investoren haben jedoch eine rechtliche Umgehungsmöglichkeit gefunden und zwar sogenannte buy-to-let Modelle (Kauf und Rückverpachtung). Bei dieser Art von Anlegerimmobilien wird ein Objekt auf einem Grundstück mit touristischer Widmung errichtet und von privaten Investoren finanziert. Das heißt, Person X kauft eine Wohnung bzw. Chalet in einem Komplex und hat beispielsweise in den ersten 20 Jahren nur ein paar Wochen pro Jahr Anspruch auf die Nutzung für den Eigenbedarf, die restliche Zeit über wird die Immobilie ganz normal von einer Betreibergesellschaft touristisch vermietet. Nach Ablauf dieser Frist geht die Immobilie in den vollständigen Besitz von Person X über. Betreibergesellschaften werben oftmals damit, dass diese Anlagen auch Arbeitsplätze schaffen. Verglichen mit der Anzahl, die ein Hotel beispielsweise schafft, ist das jedoch nichts und die Multiplikatoreffekte solcher Projekte sind dementsprechend gering. Zudem sind diese Modelle nach Ablauf dieser Frist ganz normale Zweitwohnsitze.

Das Chaletdorf in Biberwier in der Fernpass Region – nur eines von unzähligen Beispielen im Land. – © Niklas Kraus

Kalte Betten treiben die Haushaltskosten von Gemeinden in die Höhe, da Infrastruktur wie Fernwärme und Abwasser etc. immer für die Maximalauslastung dimensioniert werden muss. Wird diese Infrastruktur aber nur in der Hochsaison, wie zu Weihnachten und Silvester benötigt, sind die Investitionskosten der Gemeinden unverhältnismäßig hoch und schlagen sich auf die Kosten der Allgemeinheit nieder, da dieses Steuergeld auch an anderen Stellen verwendet werden könnte.  Um diese Überdimensionierung zu vermeiden, sollte die Anzahl an Beherbergungsbetrieben und nicht touristischen Nutzungen in Balance sein. Zudem sollte die Auslastung über das gesamte Jahr ähnlich hoch sein. 

Vielfältige Lösungsansätze

Lösungsansätze für die oben genannten Probleme können vielfältig aussehen, oftmals sind sie jedoch nicht ganz einfach, da verschiedene Fachbereiche und unterschiedliche Zuständigkeiten aufeinander treffen. Beim Thema der Zweitwohnsitze zum Beispiel spielt nicht nur das Raumordnungsrecht eine Rolle, sondern auch das Meldegesetz und das Grundverkehrsrecht. 

Punktuelle Lösungen für einzelne Regionen und Orte, welche in der Vergangenheit weniger vom Tourismus gelebt haben und sich dem sanften Tourismus verschrieben haben sind beispielsweise transnationale Konzepte, wie die Bergsteigerdörfer (Alpenkonvention) oder die Alpine Pearls. Ein eher großräumiger Lösungsansatz wurde dieses Jahr in Südtirol beschlossen, indem eine Bettenobergrenze für die gesamte Provinz festgelegt wurde. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmeregeln, jedoch ist der allgemeine Stopp ein starkes Zeichen, was die künftige Entwicklung anbelangt.

Weitere Ideen und Möglichkeiten, die teilweise bereits umgesetzt werden, sind Vorbehaltsflächen für leistbaren Wohnraum für Einheimische oder die Stärkung des Ganzjahrestourismus, um dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch Tourismusregionen lebenswerter zu machen. Auch die Stärkung des öffentlichen Verkehrs würde die Lebensqualität in den Regionen langfristig verbessern. Die meisten Tourismushotspots in Österreich befinden sich in alpinen Tälern, die relativ einfach mit Bus oder Bahn zu erreichen sind, jedoch fehlt es hier am politischen Commitment, um den öffentlichen Verkehr dauerhaft zu verbessern und auch alltagstauglich zu gestalten (meist ist das Angebot außerhalb der Hauptsaison sehr überschaubar). Weiters wäre es wichtig, den Individualverkehr stärker einzuschränken. Zum Beispiel wurde in Südtirol rund um den Naturpark Prags- Drei Zinnen und den Pragser Wildsee eine Maut für Tourist:innen, die mit dem eigenen Auto anreisen, eingeführt (Autonome Provinz Bozen – Südtirol, 2021). Diese Einnahmen könnten beispielsweise für den Ausbau des Angebotes im öffentlichen Verkehr verwendet werden.

Fazit

Auf die einleitend gestellten Fragen, wie wir in den Alpen leben wollen und welche Priorität der Wintertourismus künftig hat, gibt es keine eindeutigen Antworten, kein ‚Richtig‘ und kein ‚Falsch ‘. Die Priorität des Wintertourismus sieht von Region zu Region unterschiedlich aus, aber es sollte immer bedacht werden, dass Entscheidungen oftmals langfristig und irreversibel sind. Deshalb ist der kritische Diskurs mit allen beteiligten Akteur:innen umso wichtiger.

Für Planer:innen und deren Arbeit sind rechtliche Vorgaben sowie politische Entscheidungen die Grundlage. Ein aktives Klimaschutzgesetz, bundesweite strengere Vorgaben in der Raumplanung sowie konkretere Fachkonzepte wären ein raumplanerischer Ausgangspunkt, um Wintersport und Tourismus in Zukunft sozial- und naturverträglich sowie wirtschaftlich zu betreiben, aber auch um langfristig einen leistbaren und vor allem lebenswerten Wohnraum zu gewährleisten.

Weiterführende Informationen und Referenzen

Titelbild: Kitzsteinhorn im Sommer – © Anna Siebenbrunner

Author: Sophie Hofbauer