Von Greenwashing zum Sportswashing, ökonomische Werte ohne gesellschaftliche Werte? Oder: von Berlin nach Katar
In einem aktuellen POW Blog hat Sophie Hofbauer einen wichtigen Beitrag zum Thema „Greenwashing“ im Kontext der COP27 geliefert. Im Zuge der Fußball Weltmeisterschaft (WM) in Katar ist ein weiterer Begriff in den Mittelpunkt der Diskussionen getreten, nämlich der des „Sportswashing“, wo der FIFA vorgeworfen worden ist, ihre Werte (und Regeln) für Geld verkauft zu haben (Politico). Vereinfacht ausgedrückt geht es bei Greenwashing darum, sich in der Außenwahrnehmung grüner (sprich umweltbewusster bzw. verantwortungsvoller) darzustellen, als dies tatsächlich der Fall ist. Man täuscht also bewusst und versucht, sich in ein besseres Licht zu stellen.
Wie funktioniert „Greenwashing“
Dabei kann man vereinzelte positive Eigenschaften herausstreichen, und andere (qualitativ oder quantitativ) vielleicht viel gewichtigere negative Eigenschaften ausblenden. Man kann einen Schritt weitergehen und Aussagen treffen, die nicht den Tatsachen entsprechen, bzw. nicht von einer unabhängigen Stelle verifiziert worden sind. Man kann auch insofern in die Irre führen indem man sich ganz grundlegend für Umweltschutz ausspricht und nicht einmal behauptet, man würde in diese Richtung selbst als Unternehmen tätig werden, wobei allein schon die positive Botschaft (Umweltschutz) dann doch bei den Adressat:innen hängen bleibt (eine Parallele zum Sportswashing, dazu sogleich). All diese Irreführung kann natürlich nicht nur den Inhalt einer Aussage betreffen, sondern auch die Verwendung eines irreführenden Logos. Was man auch zum Teil findet sind Aussagen die für sich genommen zwar wahr sind, die jedoch lediglich eine gesetzliche Pflicht wiedergeben, wobei der Anschein erweckt wird, das wäre eine freiwillige (sprich zusätzliche) Leistung des Unternehmens. Zu guter Letzt können Adressaten solcher Greenwashing Aktivitäten nicht nur die Konsument:innen bzw. die breite Öffentlichkeit sein, sondern auch Entscheidungsträger:innen (Politik, Regierung, Gesetzgeber), wobei man dann einen fließenden Übergang zum Phänomen des Lobbying hat.
Vom „Green-“ zum „Sportswashing“
Beim Sportswashing ist es insofern theoretisch einfacher, als man ein bis dato eher negatives Image mit dem Mantel einer positiv konnotierten Sportveranstaltung zu verdecken versucht. Im Spiegel ist vor einigen Jahren der Begriff des Sportswashing als der Versuch bezeichnet worden, „das eigene Ansehen mithilfe des positiven Images des Sports aufzuwerten“, sprich „Aufmerksamkeit, Zustimmung und Begeisterung für Sportevents sollen sich auf den Ausrichter übertragen“. Auch wenn dies nach einem modernen Phänomen aussieht, so ist der Begriff nicht neu bzw. wird auch auf Sportveranstaltungen in den 1930er Jahren (z.B. Olympische Sommerspiele 1936 in Berlin) angewandt (Wikipedia).
Doch zurück zu dem vor kurzem auf Politico von prominenten Vertreter:innen aus Wissenschaft und Politik formulierten Vorwurf, wonach die FIFA wieder einmal ihre eigenen Regeln und Werte für Geld verkauft hat (Übersetzung des Titels dieses Beitrages vom 23.11.2022). Beim Sportswashing sind zwei verschiedene Akteure auseinander zu halten. Man kann zwischen einer Sportvereinigung (wie der FIFA) sowie einem Veranstalter bzw. Austragungsort (Katar) differenzieren.
Greenwashing Vorwurf des Europäischen Parlamentes
Kürzlich hat auch das Europäische Parlament (EP) der EU in einer Entschließung (vom 24.11.2022; siehe unten auch das Nachwort) zur „Menschenrechtslage im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft in Katar“ in diesem Zusammenhang gefordert, dass „dem ‚Sportswashing‘ ein Ende gesetzt wird“ (Punkt 5). Eine kurze Erklärung zur Natur dieses Dokumentes, bevor auf dessen Inhalt eingegangen wird. „Entschließungen“ sind rechtlich unverbindliche (somit rein politische) Dokumente, die somit nicht aufgrund ihrer Rechtsform, sondern allein auf einer inhaltlichen Ebene durch die vorgebrachten Argumente überzeugen können.
Manche der Vorwürfe, die das EP erhebt, betreffen die FIFA und Katar. So z.B. der Vorwurf der Vergabe ohne Prüfung der konkreten Situation betreffend die Menschenrechte, die Umwelt bzw. die Rechte von Arbeitnehmer:innen, sowie der Vorwurf von „glaubwürdigen Vorwürfen der Bestechung und Korruption“ (Erwägungsgrund [ErwGr.] A). Der Vorwurf von Lohndiebstahl, extremer Hitze, verbunden mit dem Risiko von Krankheit, Verletzung und Tod (ErwGr. C) trifft primär den Veranstalter. Menschenrechte inkludieren auch Nicht-Diskriminierung aufgrund mehrere Gründe (siehe Artikel 21 der EU Grundrechte-Charta [GRC]), so auch aufgrund des Geschlechts bzw. der sexuellen Ausrichtung. In diesem Zusammenhang kritisiert das EP die rechtliche Regelung in Katar (auf das die GRC natürlich formal nicht anwendbar ist) sowie die Reaktion der FIFA, sprich die Androhung einer gelben Karte für das Tragen der regenbogenfarbenen „One-Love“-Armbinde durch Spieler.
Bemerkenswert ist die sehr klare folgende Aussage des EP: dieses „bekräftigt seine langjährige Auffassung, dass in der FIFA ungezügelte, systemische und tief verwurzelte Korruption herrscht, und ist weiterhin der Ansicht, dass die Organisation das Image und die Integrität des Weltfußballs – trotz Reformversuchen, wie der Einführung von Menschenrechtsanforderungen – ernsthaft beschädigt hat“ (Punkt 3). Eine Aussage, die einerseits wenig Raum für Zweifel übrig lässt. Andererseits ist der Vorwurf der Korruption Wasser auf den Mühlen des Vorwurfes des Sportswashing, also dem Versuch, Verletzungen von Menschenrechten, Korruption (betreffend die EU selbst siehe unten das Nachwort) etc. mit der schönen Farbe des Sportes zu übertünchen.
Adressaten dieser Aufforderungen?
Katar ist als Nicht-Mitglied der EU nicht an EU Recht gebunden. Sportverbände müssen immerhin nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Bosman Urteil) die Grundfreiheiten des Binnenmarktes (z.B. Nicht-Diskriminierung von Fußball-Spieler:innen) respektieren. Für die Gesetzgebung im Bereich Sport sind jedoch primär die EU Mitgliedstaaten verantwortlich (Artikel 6 Vertrag über die Arbeitsweise der EU). Deshalb überrascht es nicht sonderlich, dass das EP „die EU-Mitgliedstaaten, insbesondere diejenigen mit großen nationalen Fußballligen, wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, auf[fordert], Druck auf die UEFA und die FIFA auszuüben, damit letztere sich für eine grundlegende Reformen einsetzt, einschließlich der Einführung demokratischer und transparenter Verfahren bei der Vergabe von Fußballweltmeisterschaften und der strikten Anwendung von Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien auf Gastgeberländer“ (Punkt 5).
Gleichzeitig werden jedoch auch Unternehmen (insb. auch in Europa) in die Pflicht genommen (Punkt 6). In diesem Zusammenhang sei auch auf die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße entlang ihrer Lieferkette hingewiesen. Hier hat die Europäische Kommission im Februar 2022 einen Vorschlag für eine EU Richtlinie vorgelegt (diese muss vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat formal verabschiedet werden, die Mitgliedstaaten haben dann in der Regel zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen). Diese „Lieferketten-Richtlinie“ hätte dann sicher auch Auswirkungen auf dieses Thema des Sportswashing. Ein weiterer Vorschlag der Kommission betreffend eine verschärfte Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Verfahren zur Annahme der Richtlinie bereits beinahe abgeschlossen) ist auch ein weiterer Schritt in Richtung mehr Verantwortung von Unternehmen.
Neben der Verantwortung von Sportsverbänden, Veranstaltern bzw. Austragungsorten, Sponsoren sowie anderen Unternehmen stellt sich natürlich auch die Frage, wie Konsument*innen sowohl mit dem Thema „Greenwashing“ als auch mit dem „Sportswashing“ umgehen. Der FIFA ist im eingangs erwähnten Beitrag vorgeworfen worden ihre Werte für Geld verkauft zu haben, die gleiche Frage stellt sich aber auch für diejenigen, denen etwas (ein Produkt, eine Sportveranstaltung, etc.) verkauft wird. Welche Werte liegen unseren Handlungen zugrunde (zu den Werten der EU siehe dieses open access Buch) und lassen wir uns durch Green- bzw. Sportswashing täuschen? Eine Auswahl an allgemeinen und Sport-spezifischen Werten findet sich nachstehend.
Nachwort (Stand 14.12.2022)
Rund um den 9.12.2022 ist ein Skandal um eine angeblich von Katar ausgehende illegale Einflussnahme betreffend die Position des EP bekannt geworden (Politico). Die darin vermutlich betroffene Vizepräsidentin des EP Eva Kaili ist mittlerweile von ihrem Amt enthoben worden (weitere Personen könnten ebenfalls betroffen sein). Da Kaili sich auch im Plenum des EP sehr positiv gegenüber Katar geäußert hat, ist diese Entschließung des EP vermutlich in einem neuen Licht zu sehen. Diese Entschließung des EP fällt insofern auf, als sie neben den hier thematisierten sehr kritischen Passagen auch einige sehr wohlwollende Teile betreffend Katar umfasst. Letztere sind jedoch hier nicht thematisiert worden.
Ein Beitrag von Markus Frischhut, passionierter Snowboarder und Skifahrer, Jean-Monnet-Professor für EU Recht, Ethik und Werte, sowie Mitglied der Science Alliance von POW Austria.
Siehe auch:
- POW Blog Beitrag vom 24. Juni 2021 “Respect for nature: Learning from Indigenous Values – A Book Summary” (Link)
- POW Blog Beitrag vom 9. Juni 2020 „Vom Hof auf den Tisch – Einige Gedanken zur Mitteilung der Europäischen Kommission für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem“ (Link)
- POW Blog Beitrag vom 15. April 2020 „Nachhaltigkeit in Zeiten von Corona“ (Link)
Was sind die allgemeinen Werte der EU? (Artikel 2 EU-Vertrag)
- „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“
Welche Werte finden sich nach Ansicht des EP im Bereich des Sports? (Entschließung des EP vom 2.2.2017, Hervorhebungen durch den Autor)
- „in der Erwägung, dass Sport nicht nur wirtschaftlich zunehmend an Bedeutung gewinnt, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen darstellt, das einen wichtigen Beitrag zu den strategischen Zielen und gesellschaftlichen Werten der Europäischen Union wie Toleranz, Solidarität, Wohlstand, Frieden, Achtung der Menschenrechte und Verständigung zwischen den Völkern und Kulturen leistet“ (ErwGr. D)
- „Werte wie Respekt, Freundschaft, Toleranz und Fair Play“ (Punkt 31)
- „gemeinsamen Werten wie gegenseitiger Achtung, Toleranz, Mitgefühl, Führung, Chancengleichheit und Rechtsstaatlichkeit“ (Punkt 44)
- „begrüßt, dass länderübergreifende Sportveranstaltungen in verschiedenen europäischen Ländern ausgerichtet werden, da sie zur Förderung zentraler gemeinsamer Werte der EU wie Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Gleichstellung und Solidarität beitragen“ (Punkt 45)
Welche Werte finden sich nach Ansicht des Ministerrates im Bereich des Sports? (Entschließung des Rates der EU vom 13.12.2021, Hervorhebungen durch den Autor)
- „Die Organisation des Sports in Europa basiert auf dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit. Sie stützt sich auf Werte wie Solidarität zwischen verschiedenen Ebenen des Sports, insbesondere zwischen Profi- und Breitensport, Fairness, Integrität, Offenheit, Geschlechtergleichstellung und eine verantwortungsvolle Verwaltung („good governance“).“ (Punkt 7)
- „Unterstützung sollten darüber hinaus auch Aktivitäten erhalten, mit denen die Einhaltung von Werten im Sport, wie Grund- und Menschenrechten, Demokratie, Solidarität, sozialer Integration, Geschlechtergleichstellung, Nachwuchsentwicklung, Kinderrechten und Bildung durch Sport, gefördert wird.“ (Punkt 13)
- „Der wertebasierte organisierte Sport stützt sich auf die Vereinigungsfreiheit und Werte wie verantwortungsvolle Verwaltung, Sicherheit, Integrität, Solidarität, einschließlich finanzieller Solidarität, Gesundheit und Sicherheit der Sportlerinnen und Sportler und Wahrung der Grund- und Menschenrechte und der Geschlechtergleichstellung sowie freiwilliges Engagement.“ (Anhang)
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