Wann fängt eigentlich der Winter an?
Saisonverzerrungen durch den Klimawandel, die Wintersportindustrie und unsere Wahrnehmung
Das jährlich herbeigesehnte Warten auf die Skisaison beginnt mit den ersten Bildern von Schnee in den Bergen. Doch diese ersten Schneefälle reichen in den wenigsten Fällen aus, um den Skibetrieb zu starten. Trotzdem eröffnen die ersten Gletscherskigebiete ab Oktober und viele höher gelegenen Skigebiete ab Mitte November die Skisaison – und viele enthusiastische Wintersportbegeisterte folgen dieser Einladung. Dank künstlicher Beschneiung werden frühe Saisonstarts möglich, doch ist das in Zeiten der Klima- und Energiekrise wirklich notwendig? Ein kritischer Kommentar von Verena Gruber zur künstlichen Saisonverzerrung im Wintersport.*
Winterbeginn
Meteorologisch gesehen fängt der Winter am 1. Dezember. an, kalendarisch mit der Wintersonnenwende am 21. Dezember. Das Datum des ersten Schneefalls bzw. des ersten Tages mit einer geschlossenen Schneedecke (laut ZAMG ist das ein Tag, an dem der Schneebedeckungsgrad bei 100% liegt, die Schneehöhe spielt dabei keine Rolle) variiert je nach Höhenlage innerhalb Österreichs sehr stark und reicht von September in den Hochlagen bis spät in den Hochwinter in den Tieflagen. Ob der Schnee des ersten Schneefalls auch tatsächlich liegen bleibt oder nicht – die Nachricht davon lässt die Vorfreude auf den Winter, das Skifahren und Snowboarden in allen Höhenlagen Österreichs ansteigen und die Wintersportgeräte werden aus dem Keller geholt.
Saisonstart
Damit beginnt auch das Warten auf den Start der Skisaison: Der Logik nach beginnt die Skisaison dann, wenn genug Schnee liegt, um Ski zu fahren – d.h. genug, damit Pistengeräte die Piste präparieren können, ohne den Untergrund zu verletzten und genug, damit wir im Gelände nicht auf den Untergrund durchkommen. Generell sind dafür in etwa 40 cm gesetzter Schnee notwendig – Betonung auf gesetzt (!), denn das bedeutet nicht – wie fälschlicherweise oft angenommen – frisch gefallen. Schnee verändert sich, nachdem dieser gefallen ist, je nach vorherrschenden Bedingungen.
In der Realität beginnt die Skisaison – und damit für viele Wintersportbegeisterte auch deren „Winter“ – meist zwischen Mitte November und Anfang Dezember. In den meisten Skigebieten – mittlerweile auch in vielen Gletscherskigebieten – ist ein Saisonstart um diese Zeit jedoch nur mit Hilfe künstlicher Beschneiung möglich. Eine geschlossene natürliche Schneedecke (und ausreichende Schneehöhe) ist dafür nicht mehr notwendig, diese gibt es zu dieser Zeit auch immer seltener.
Entwicklung der Schneedecke
Laut dem Projekt FuSE-AT** (Future Snow Cover Evolution in Austria) der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), dem Institut für Geographie der Universität Innsbruck und dem Climate Change Centre Austria (CCCA) hat die Dauer der Schneedecke (Anzahl der Tage mit >10 cm Schneehöhe) seit 1961 (Vergleich 30-jähriges Mittel 1961-1990 mit Daten 1981-2010) über die gesamte Fläche und alle Höhenlagen Österreichs gemittelt um 40 Tage abgenommen. Wird diese Auswertung auf unterschiedliche Höhenlagen heruntergebrochen, ergibt sich vor allem für Seehöhen unter 1500 m, den Tallagen der meisten Skigebiete in Österreich, eine starke Abnahme der Tage mit einer Schneedecke. Laut Andreas Gobiet (ZAMG), Projektleiter des FuSe-AT-Projektes, zeigen die Zukunftsszenarien des Projektes auch deutlich, dass die Schneelage in Österreich, unabhängig von natürlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr und je nach Region, stark vom Temperaturniveau und somit direkt vom Ausmaß der Klimaerwärmung abhängt.
Frau Holle auf Knopfdruck
Das jährliche Rennen um einen frühen Saisonstart scheint jedoch von Zahlen wie diesen oder von den Zukunftsszenarien, die im Projekt berechnet wurden (und hier sehr anschaulich präsentiert werden ), nicht merklich beeinflusst zu werden. Wie bereits erwähnt, hängt der Saisonstart in den meisten Fällen ja nicht mehr von der natürlichen Schneelage ab. Nichtsdestotrotz müssen die Witterungsbedingungen für die künstliche Beschneiung ebenso winterlich sein, doch es muss nicht tatsächlich schneien, sondern lediglich Minusgrade und eine entsprechende Luftfeuchtigkeit haben. Mit zunehmender Höhenlage werden die für die künstliche Beschneiung benötigten Temperaturen natürlich früher erreicht als in den Tallagen. Für eine effiziente Beschneiung müssen diese Witterungsbedingungen aber auch für einige Tage stabil bleiben. Ist es dann für einige Tage kalt genug, kann es mit der Beschneiung losgehen.
Das weiße Band
So entsteht unter Umständen das in den letzten Jahren in den Medien oftmals heiß diskutierte Bild der weißen Bänder in der braunen Herbstlandschaft. Selbstverständlich sind diese Bilder immer kritisch zu betrachten und manche Pisten werden auch durch Snowfarming erhaltenen Schnee ermöglicht. Dennoch werden diese Bilder zumeist von vielen als negativ bewertet – als unnötig, unnatürlich und als Gier der Skigebietsbetreiber abgetan. Dass diese „Gier“ aber auf dem allseits bekannten Angebot und Nachfrage-Prinzip beruht, vergessen dabei viele. Und ein Skigebiet ist auch ein wirtschaftlicher Betrieb: Es muss in den Zeiten, wo die Nachfrage nach dem Skifahren oder Snowboarden am größten ist, dementsprechend Umsatz machen, um rentabel zu sein.
Ein künstlich ermöglichter früherer Saisonstart zahlt sich wirtschaftlich also nur aus, wenn so früh auch tatsächlich jemand Skifahren geht – und das machen neben den trainierenden Profisportler:innen ziemlich viele. Das Verkehrschaos und die langen Warteschlangen vor den Liften in den Gletscherskigebieten vor Kurzem sowie in den Skigebieten, die am letzten Novemberwochenende in die Saison gestartet sind, unterstreichen das sehr deutlich. Selbstverständlich herrschen auf den Gletschern wesentlich früher winterliche Bedingungen als im Tal. Dass jedoch auch die Gletscherskigebiete immer mehr in Bedrängnis kommen, den Skibetrieb aufrecht zu erhalten und bereits im Oktober zu starten, hat das vergangene Jahr sehr deutlich gezeigt. So hat der Dachstein Gletscher den Winterbetrieb komplett eingestellt und auch einige Tiroler Gletscherskigebiete haben ihre Eröffnungswochenenden nach hinten verschoben. Auch in vielen Gletscherskigebieten ist künstliche Beschneiung mittlerweile die Norm.
Kritische Selbstreflexion zum Saisonstart
Skifahren im Dezember, spätestens zu Weihnachten, gehört für viele dazu, doch wie unrealistisch die Idylle von weißen Weihnachten mittlerweile in weiten Teilen Österreichs ist, haben die letzten Jahre deutlich gezeigt. Und auch die weißen Bänder in der braunen Landschaft sind in vielen Skigebieten nicht mehr nur eine Herbst-Erscheinung, sondern in tieferen Lagen bis in den Hochwinter und ab dem Spätwinter zu beobachten. Auch in meinem Heimatort Mauterndorf, der auf 1100m Seehöhe liegt, und mit durchschnittlichen Jänner-Temperaturen von -5,5°C (30-jähriges Mittel 1971-2000 der Nachbargemeinde St.Michael im Lungau, ZAMG) durchaus prädestiniert ist für weiße Weihnachten und lange Winter, hat sich dieses Bild in den letzten Jahren sehr deutlich verändert. Zwar genießen wir hier immer noch fast jährlich weiße Weihnachten, die Niederschlagsmuster und die daraus resultierenden Schneehöhen, vor allem aber die Temperaturen, haben sich auch hier sehr deutlich verändert.
Veränderungen der klimatischen Bedingungen beeinflussen zudem die Voraussetzung für künstliche Beschneiung, wie im FuSE-AT Projekt aufgezeigt wird. Mit anhaltender Energiekrise wird auch der enorme energetische Aufwand für die künstliche Beschneiung immer lauter diskutiert – und damit die Rolle, die wir als Wintersportbegeisterte im Rennen um einen immer früheren Saisonstart in Zeiten der Klimakrise spielen.
Lokalaugenschein im Lungau
In den Skigebieten in den Tallagen meiner Heimatregion laufen die Schneekanonen auf Hochtouren, um den Saisonstart Anfang Dezember zu schaffen. Das höher gelegene Skigebiet im Nachbarort Obertauern (zwischen 1600 und 2400 m Seehöhe) hat letztes Wochenende eröffnet (26.November), zumindest ein paar Lifte. In den Höhenlagen über 1600 m Seehöhe ist der Schneefall der letzten Wochen – zumindest in den Nord- und Ost-Lagen – schon liegen geblieben und hat sich auf den Pisten mit dem Kunstschnee vermischt. Es wirkt also auch „winterlich“ bzw. schauen die weißen Bänder nicht ganz so traurig aus, wenn es rundherum zumindest ein bisschen angezuckert ist. Die ersten Bilder von frühwinterlichen (meteorologisch gesehen ja noch herbstlichen) Skitouren tauchen mit der Skigebietseröffnung bereits in den Sozialen Medien auf – selbstverständlich mit den treuen „Stoa-Ski“. Bei vielen dieser Bilder sind zahlreiche Felsen und Latschenfelder sichtbar, die im Hochwinter unter der natürlichen Schneedecke verschwinden. Hier gilt es realistisch abzuschätzen, ob auf der gesamten Tour (Aufstieg und Abfahrt!) eine mindestens 40 cm gesetzte Schneedecke vorhanden ist, um den Untergrund – und auch den Belag – nicht zu schädigen. Ist das nicht der Fall, ist Zurückhaltung und Geduld gefragt. Noch wichtiger ist es jedoch, abzuwägen, welche Breitenwirkung das Teilen solcher Bilder in den Sozialen Medien hat. Diese soll nämlich keineswegs unterschätzt werden und es stellt sich für mich die Frage der Verantwortung – gegenüber der Natur, der Wintersportindustrie und auch gegenüber gleichgesinnten Wintersportbegeisterten.
* Dieser Bericht soll keine Schuldzuweisung an motivierte Wintersportler:innen sein, sondern zum Nachdenken anregen, ob wir mit dem Nachgehen unserer Leidenschaft nicht oft auch Teil des Problems sind.
** Ziel dieses Projektes ist die Erstellung von Klimaszenarien schneebezogener Größen für Österreich
Weiterführende Informationen und Referenzen
Titelbild: Skigebietsinfrastruktur am Wieserhörndl in Salzburg – © Markus Bachofner